Mittwoch, 8. April 2020

80| Neuneinhalb Wochen

Weniger Liebesfilm, mehr Drama. 9 Wochen Home-Office und bereits'ne halbe Woche frei bis zum heutigen Tag. Das fühlt sich alles noch immer wie im Film an. Wenn wenigstens Uma Thurman mitspielen würde.
Und wo wir grad bei Filmen sind: Ich bin gespannt, wann wohl Roland Emmerichs Endzeit-Movie "2020" in die Kinos kommt.
Ab sofort nicht im Kino, aber hier im Blog: "Holiday in Beijing". Das wird ein Blogbuster.

Sonntag, der 05.04.: Ausflug in den Osten der Stadt an den Tonghui River, der hier zu einem einigermaßen großen Gewässer aufgestaut ist. Zahlreiche Angler säumen die Ufer. Nett, um bei tollem Frühlingswetter etwas spazieren zu gehen.


Gleich nebenan befindet sich das Gaobeidian Village. Das Dorf, das zwar eine mehr als 1000-jährige Geschichte vorweisen kann, ist heute einfach ein auf alt getrimmtes Touri-Dorf mit zahlreichen Läden: "The most beautiful Village in Beijing". Ich war nicht drin, sah auch alles zu und ausgestorben aus.
Ein paar hundert Meter weiter bin ich anschließend durch den Xinglong Park geschlendert.


Zurück ging's die etwa 10 km mit dem Rad, unterbrochen von kleinen Rauch- und Kaffeepäuschen und zum genaueren Betrachten von moderner Architektur.


Dienstag, der 07.04.: Raus zu einer der grünen Lungen Pekings, in den Baiwangshan Forest Park, etwa 3 km nördlich des Sommerpalastes.


Mit einer Fläche von knapp 2 Quadratkilometern, einer Höhendifferenz von gut 200 Metern sowie teils betonierten Wegen, teils steilen Treppen ist der Park in ein paar Stunden gut zu durchwandern.


Peking ist wahrlich nicht schön, drum macht's auch nichts, dass die Stadt im Dunst verschwimmt, allein ihre schiere Größe beeindruckt dann doch immer wieder.


Mittwoch, der 08.04.: Übermorgen ist Karfreitag.


Aber mit Weihnachten und Ostern haben sie's hier eh nicht so. Soll mir recht sein.
Nachmittags ging's ab in den Süden. Erstes Ziel die Niujie Moschee, Pekings älteste Moschee, die chinesischen und arabischen Baustil vereint.


Leider zu. Also einfach nur ein bisschen bummeln durch das Viertel, das hauptsächlich von Uighuren und Hui muslimischen Glaubens bewohnt wird. Nächstes Ziel der Taoranting Park. Der war zwar auf, aber nur zu betreten, wenn man über eine entsprechende (natürlich komplett chinesichsprachige) App 24 Stunden im Voraus ein Ticket gekauft hat. So blieb nur ein verstohlener Blick durch den Zaun auf dem Weg zum Yongdingmen Gate Tower, einem früheren Tor der äußeren Stadtbefestigung und zugleich südlichster Punkt der Pekinger Zentralachse.


Herrlich entspannte Atmosphäre.


Bis hierhin musste ich schon manche Umwege gehen, weil Wege im Nichts oder vor einer Mauer endeten. Eine chinesische Spezialität. Auf obigen Platz gelangte ich schließlich, indem ich es einer Chinesin gleich tat und zunächst eine Absperrung zur Seite schob um anschließend über eine zugegebenermaßen nicht sehr hohe Mauer zu steigen. Ein Glück, dass uns die zahlreich vorhandenen Herren mit roter Armbinde nicht erwischt haben.
Letzte Etappe des heutigen Tages die Zentralachse entlang nach Norden durch die Qianmen Street bis zum Zhengyang Gate (ich berichtete bereits in einem früheren Post). Am versperrten Zugang zur Qianmen Street wurde ich aufgefordert, die Health Kit App vorzuzeigen - und die habe ich tatsächlich - die aufgrund hinterlegter Daten (das Wort 'Datenschutz' existiert im Chinesischen glaub ich nicht) bestätigt: "no abnormal conditions". Natürlich trotzdem Körpertemperaturmessung und Eintragen von Name, Pass- und Telefonnummer in eine Liste und schon konnte ich passieren.


Sehr übersichtlich. Naja, der Weg war das Ziel, alles in allem um die 9 Kilometer Fußmarsch.

Freitag, der 10.04.: Mega platt und fußlahm, aber sehr zufrieden kehre ich von einem zwar nicht neuneinhalb Wochen dauernden, aber zumindest neuneinhalbstündigen Ausflug in den Fenghuangling Nature Park (Phoenix Mountains) heim.
Nach 16 U-Bahn-Stationen, 36 Bus-Stops und einer 2 km langen Fahrt innerhalb des Parks mit dem Shuttlebus hatten wir unser Ziel - die Nordroute - erreicht. Auf etwa 6 km Länge und einer Höhendifferenz von über 600 m führt sie an einer Reihe von scenic spots vorbei.
Eine kritische Anmerkung vorneweg: Smorking war nicht erlaubt.


Aber sonst gibt es nichts auszusetzen. Einfach eine schöne Tour in schöner Berglandschaft.
Eines der Highlights auf dem Weg nach oben...


...war sicherlich die Himmelsleiter.


Je höher es auf der Tour ging, desto spektakulärer wurde die Aussicht.


Bis wir am höchsten Punkt der Nordroute schließlich die 748 m über dem Meeresspiegel befindliche Flying Stone Pagoda erreichten.


Die Pagode selber ist nur 2,95 m hoch, enthält 40 Buddha-Statuen und ist eine Nachbildung der original Pagode aus dem Jahr 1877.


Die zweite Hälfte des Trails ging es an weiteren Pagoden und anderen scenic spots vorbei langsam wieder nach unten.


Unten gönnten wir uns erstmal ein kühles Harbin-Bier und für die Rückfahrt ein Taxi.
Ich behalte einen wunderbaren Ausflug in Erinnerung und die für mich neue Erkenntnis, dass es Klopapierspender mit Gesichtserkennung gibt: "Watch here for 3 seconds and automatic paper out." Ich frage mich, wird umso mehr Papier gespendet, je verkniffener das Gesicht ist?

Samstag, der 11.04.: Ich mag keine Zwiebeln und vertrag sie auch nicht. Wie eine Zwiebel ist auch Peking mit seinen 7 Ring Roads aufgebaut. Gibt's da einen Zusammenhang? 
Ich wohne in unmittelbarer Nähe zur 3rd Ring Road und habe mir heute mal die 2nd Ring Road vorgenommen. Im Herzen der Stadt verläuft die 2. Ringstraße ungefähr entlang der früheren Stadtmauern. Erst hatte ich die absurde Idee, die gut 30 Kilometer mit dem Rad abzufahren, entschied mich dann aber doch für die Subway Linie 2, die größtenteils den gleichen Streckenverlauf hat. 
Erster Stopp im Osten: Galaxy Soho - ein hypermoderner Gebäudekomplex mit vornehmlich Büros und Geschäften.


Die allermeisten Geschäfte hatten allerdings zu. 
Wie auch mein nächstes Ziel im Südosten: das alte Observatorium, eines der ältesten erhaltenen Observatorien der Welt. Ursprünglich erbaut 1442 war es Teil der Stadtmauer Pekings.


Ebenfalls geschlossen hatte mein point of interest im Süden, die Beijing Planning Exhibition Hall.


Das Stadtplanungsmuseum dokumentiert im geöffneten Zustand die Entwicklung Pekings über mehrere Jahrhunderte bis zur Gegenwart. 
Nächste Etappe im Nordwesten der 2nd Ring Road: die Umgebung des Beijing Exhibition Center, ein sozialistischer Prachtbau von 1954.


Letztes Ziel im Norden: das Deshengmen-Stadttor. Von der aus dem 15. Jahrhundert stammenden Toranlage steht aber nur noch der Wachturm. Deshengmen bedeutet 'Tor des tugendhaften Triumphs'. Durch dieses Tor marschierte einstmals das kaiserliche Militär aus Peking heraus. Heute ist das Bauwerk umgeben von zahlreichen Bushaltestellen. 


Karaoke und Drachen steigen lassen - beliebte Freizeitbeschäftigungen in Peking.

Ostersonntag, der 12.04.: Spaziergang im Longtan Lake Park im Südosten der Stadt.


Dort, wo sich nun ein See befindet, war bereits zu Zeiten der Ming-Dynastie eine Grube, der Erde und Schlamm zur Herstellung von Ziegeln für die Stadtmauer der äußeren Stadt entnommen wurde.


Ostermontag, der 13.04.: Ich wohne nicht nur in unmittelbarer Nähe zum Ring 3, sondern habe auch eine Station der Subway Line 10 praktisch vor der Haustür. Sie ist eine von momentan 22 Linien in Peking und fährt wie die Linie 2 im Kreis.


Linie 10 ist mit 45 Stationen und einer Streckenlänge von gut 57 Kilometern die längste circular metro line der Welt. Warum erzähl ich das? Weil bei mir heut nicht viel passiert ist. Tagsüber waren es schon 27°C, sodass ich es vorzog in der Bude zu bleiben. Erst zum Abend wagte ich mich raus und fuhr mit der Linie 10 zum Linglong Park. Ja, der heißt wirklich so. Ein relativ kleiner Park, errichtet auf dem Gelände des ehemaligen buddhistischen Cishou Tempels, von dem nur noch die 50 m hohe Yong'anwanshou Pagode aus dem 16. Jahrhundert steht. Und - warum auch immer - eine alte Lokomotive.


Neben Karaoke und Drachen steigen lassen, haben viele Chinesen noch ein weiteres Hobby - gemeinsames Tanzen in der Öffentlichkeit.


Und das, während im TV die Hauptnachrichten laufen. Das macht mir Hoffnung.

Dienstag, der 14.04.: Ich kann bestätigen, zumindest auf Pekings Straßen hat sich die Lage inzwischen wieder normalisiert.


Zum frühen Abend hin habe ich mich wie der junge Jan Ullrich spontan auf's Rad geschwungen um etwa 7 km von meinem Zuhause entfernt ein paar abendliche Großstadt-Impressionen einzufangen.


Und jetzt gibts'n kaltes Dosenbier. Morgen lass ich's noch ein bisschen ruhiger angehen, zum einen muss ich endlich mal was wegarbeiten, was ich schon etliche Tage vor mir herschiebe, zum anderen ist für Donnerstag wieder eine etwas größere Wanderung geplant. 

Donnerstag, der 16.04.: Ausflug in den Badachu Park am südlichen Fuße der Western Hills, dessen höchster Punkt 465 m über dem Meeresspiegel liegt. Dieser Park ist auch unter dem Namen Eight Great Sites Park bekannt wegen seiner 8 buddhistischen Klöster und Tempel; der älteste unter ihnen ist über 1200 Jahre alt. Allerdings war keine der 8 Köstlichkeiten geöffnet, doch allein die Wanderung bei guter Luft, angenehmen Temperaturen und mit netten Menschen war schön und entspannt.


Für den Weg nach unten gab es die Auswahl aus drei Optionen: a) zu Fuß, b) mit der Seilbahn oder c) auf der Rodelbahn.
Wir entschieden uns für...


Ein Abstecher in die internationale Klinik im Anschluss, zu dem mir meine Begleiter rieten, hatte einen kleinen Eingriff, eine Tüte voller Medikamente und eine nicht zu vernachlässigende Rechnung zur Folge. Aber keine Sorge, es war so dramatisch nun auch nicht. Ich werde wohl durchkommen, von Kondolenzbekundungen bitte ich deshalb Abstand zu nehmen.

Freitag, der 17.04.: Vormittags Konferenz, nachmittags Nachsorge-Termin in der internationalen Klinik. Der Zufall wollte es, dass ich ein paar Tage zuvor durch Bilder eines Kollegen auf ein Gebäude aufmerksam wurde, das von der Klinik nur gute 3 Kilometer entfernt ist. Also auf's Fahrrad und ab zum Parkview Green.


Eigentlich eine Edel-Shopping-Mall ist es doch fast mehr eine moderne Kunstgalerie und ein Kunstwerk an sich.


Sonntag, der 19.04.: Außer einem weiteren Nachsorge-Termin in der Klinik und ein paar Stunden am Schreibtisch, wie auch gestern schon, sowie ein bisschen Hausputz hat der Sonntag keine weiteren Abenteuer für mich bereit gehalten.
Aber zumindest hat zum Abend kräftiger Regen mit Gewitter einen schönen Blick aus dem Fenster auf die untergehende Sonne ermöglicht.


Klare Luft und kräftiger Wind wie auf der Büsumer Westmole zogen mich nochmal zu einem abendlichen Spaziergang vor die Tür. 


Und das war es dann mit Holiday in Beijing. Ab morgen ist wieder Home-Office angesagt.


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