Samstag, 9. Februar 2019

43| Da, wo Mann Rock trägt

Genau genommen, einen traditionellen Wickelrock - den Longyi.

Gute 5 Tage war ich in Yangon (ehemals Rangun) in Myanmar (ehemals Birma).
Im 11. Jahrhundert rief König Anawrahta das erste birmanische Reich aus. 1885 wurde das Königreich Birma von den Briten unterworfen, im 2. Weltkrieg von der japanischen Armee besetzt, nach Kriegsende erneut britische Kolonie, bis 1948 die Unabhängigkeit folgte. Es wurden Pläne für einen Staat nach buddhistischem und sozialistischem Vorbild entworfen. Unruhen, Proteste, bewaffnete Konflikte, Millitärdiktaturen, Verfolgung der Rohingya - eine sehr wechselvolle Geschichte.
Mehrere Kollegen hatten mich gewarnt: Yangon lohnt sich nicht für länger als einen Tag, flieg dann bloß weiter, z.B. nach Bagan. Sie sollten (teilweise) Recht behalten.

Angekommen am Flughafen, hab ich erstmal 100000 MMK (Kyat) aus dem Automaten gezogen, bei einem Wechselkurs von 1 € = 1741 MMK klingt das mehr als es ist.
20000 MMK habe ich ohnehin gleich wieder an den Taxifahrer abdrücken müssen. War natürlich ein Schwarz-Taxi. Die Rückfahrt am letzten Tag vom Hotel zum Airport mit einem regulären Taxi hat dann auch nur 8000 MMK gekostet.

Die ganze Woche über gab's schön bis zu 36 Grad. Das mag ich ja. Zumindest hatte es abends angenehmere 21 - 24 Grad.


Da waren ausgiebige Erholungspausen im schattigen und klimatisierten Hotelzimmer fest in den Tagesablauf integriert. Es gab halt nicht wirklich viel zu sehen, und so war ich auch jeden Tag im Fitness-Studio des Hotels und das ein oder andere Mal am Hotelpool.


Seit ich im Ausland bin, das erste Mal wieder Sport - und es hat gut getan.

Mein Hotel lag in Downtown Yangon, dem alten Kolonialviertel der Stadt.
Manche Gebäude waren restauriert, viele Gebäude jedoch völlig runtergekommen. Ein bisschen hat mich das an Havanna erinnert, obwohl ich noch nie in Havanna war.


 
 

Das ganze Stadtviertel ist praktisch ein einziger Markt. Das Leben der Menschen spielt sich fast ausschließlich auf der Straße ab. Besonders die parallelen in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Gassen sind voller Menschen, Marktstände, Straßenküchen und Straßenhunde.


An jeder Ecke liegt Müll rum, es ist ziemlich dreckig, meist sehr laut, es stinkt nicht nur nach Abgasen, weil viele Stände Dieselgeneratoren laufen haben, sondern auch nach ganz merkwürdigem Essen und nach Fisch und Fleisch, welches ungekühlt in der drückenden Hitze an den Ständen vor sich hin oxidiert.
Trotzdem oder gerade deswegen war ich fast jeden Tag in diesen Gassen unterwegs und so Teil dieses pulsierenden Treibens.
Dienstag bin ich bei sengender Hitze zu einem Park spaziert, der sich aber leider als komplette Enttäuschung entpuppte. Jeder Weg, den ich nehmen wollte, endete an einer Absperrung, einer Baustelle oder im Nirgendwo. Kaum Bänke, kaum Schatten.


Auf dem Rückweg habe ich mich deshalb bei Bread-Talk (einer Bäckerei-Kette, die ich schon aus Peking kenne) mit lecker Erdbeer-Törtchen und köstlichem Strawberry-Soda entschädigt.


Abends habe ich im Hotel gegessen. Der Kunde ist König. Mir war's ein bisschen zuviel König. Das Ganze hatte was von Elternsprechtag oder Speed-Dating:
1.) Wie geht es Ihnen heute? Wo möchten Sie sitzen?
2.) Was möchten Sie essen? Darf ich Ihnen etwas empfehlen?
3.) Enjoy your water.
4.) Möchten Sie noch Zitrone? Nein.
5.) Enjoy your beer.
6.) Abräumen des Löffels und nach rechts rücken des Messers. Gedulden Sie sich doch bitte noch einen Augenblick.
7.) Enjoy your bread.
8.) Möchten Sie noch mehr Brot? Nein.
9.) Einer bringt das Essen, ein Zweiter erklärt mir, was ich bestellt habe und auf dem Teller mit eigenen Augen sehe: Schnitzel mit Stampfkartoffeln und Bohnen im Speckmantel. Enjoy your dinner.
10.) Ist alles in Ornung? Ja.
11.) Es kommt der Küchenchef, um wirklich sicher zu gehen, dass es mir schmeckt.
12.) Möchten Sie noch einen Nachtisch? Nein.
Nun kann ich in Ruhe mein Heineken genießen.

Mittwoch war Pagodentag. Sogar an beiden Mittwochen, wie wir weiter unten erfahren werden. Dies sollte das Highlight meines Aufenthalts werden. Zur Einstimmung bin ich vormittags zur Sule-Pagode gegangen, die sich nur wenige Meter von meinem Hotel und inmitten eines großen Kreisverkehrs befindet. Solche buddhistischen Anlagen dürfen grundsätzlich nur barfuß betreten werden.

 

Am späten Nachmittag bin ich dann mit dem Taxi zur Shwedagon-Pagode gefahren.
Die zumindest der Legende nach über 2500 Jahre alte Pagode ist das religiöse Zentrum Myanmars und einer der berühmtesten Stupas weltweit.
Hinauf zur Anlage ging ich durch den östlichen Eingang über eine lange überdachte Treppe, vorbei an zahlreichen Händlern, die Nippes, aber auch Gebetsutensilien und Opfergaben verkaufen.


Oben angekommen erblickte ich dann die Hauptattraktion, den zentralen, mit 99 m höchsten und mit geschätzt 60 Tonnen Gold vergoldeten Stupa, an dessen Spitze sich ein 76-karätiger Diamant befindet.
Blöd nur, dass der Stupa komplett eingerüstet und mit Planen abgedeckt war. Meine spontane Assoziation war: "Das sieht ja schon ein bisschen aus wie der erste Sarkophag über Reaktorblock 4 in Tschernobyl."
Die gesamte Anlage hat dann aber doch noch so viel mehr zu bieten: zahlreiche Schreine, Buddha-Figuren, Tempel und weitere Stupas. Sehr imposant und eindrucksvoll.

 
 
 
 
 
 
 

Um den zentralen Stupa herum sind unter anderem kleinere Verehrungsplätze zu finden, die die Menschen gezielt aufsuchen um ihren ganz persönlichen Buddha zu ehren. Jeder dieser Schreine steht nämlich für einen der 8 Wochentage, an dem man geboren wurde.
Ja, in Myanmar gibt es offensichtlich 8 Wochentage, die ihren Ursprung in der birmanischen Astrologie haben. Wie ich ebenfalls gelesen habe, gibt es nämlich zwei Mittwoche, der eine Mittwoch ist vormittags und der zweite Mittwoch dauert von mittags bis Mitternacht. Jedem Wochentag ist zudem ein Tier zugeordnet, im Falle der Mittwoche ist es der Elefant. Darum haben Arbeitselefanten mittwochs ihren freien Tag. Ich schweife ab.
Ich habe natürlich als Sonntags-Kind auch eine Weile bei meinem Buddha verbracht. Dem Sonntag zugeordnet ist übrigens der Garuda-Vogel, ein Adler, Symbol der Stärke. Das passt doch. Warum dem Sonntag neben der Kraft auch der Geiz zugeordnet ist, erschließt sich mir nicht. Alle, die mich kennen, wissen, dass ich nicht ... also, ähmm, naja, dass ich sparsam bin.

 

Besonders am Abend und nach Sonnenuntergang bekommt die Anlage nochmal einen ganz besonderen Glanz. Kerzen flackern, der Duft von Räucherstäbchen und Gesänge schwirren durch die Luft.

 
 

Donnerstagnachmittag bin ich - mal wieder - durch die Gassen im Kolonialviertel geschlendert und in eine ortstypische Kneipe auf ein kühles, leckeres Myanmar Lager eingekehrt. Eine 640-ml-Flasche, 5 Umdrehungen, für umgerechnet 1,38 €.


Die Kneipe war zur Merchant Street hin offen, einer Straße, auf der auf 3 oder 4 Spuren der Verkehr tobt.Viele dieser Fahrzeuge scheinen sich allein durch den Rückstoß ihrer ohrenbetäubenden Hupen fortzubewegen. 16:30 - ein Gast kotzt erst seinen Tischnachbarn an, dann auf die Straße. Dabei steht an jedem Tisch ein Spuckeimer. Das wahre Leben!
Und an mir hat sich niemand gestört. Klar, der eine oder andere guckt mal. Wegen meines guten Aussehens wahrscheinlich. Aber sonst, ganz entspannt. Da kam mir der Gedanke, man sollte manche Einwohner von Chemnitz, Cottbus oder Hoyerswerda nicht verurteilen, sondern einfach mal auf Weltreise schicken.
Freitag war dann mein letzter Tag. Gottseidank hatte ich die Möglichkeit des Late-Check-Out, denn mein Flieger ging erst 1:05 am Samstagmorgen. Gegen 5:30 war ich in Hong Kong und gegen 11:00 wieder in Peking.

Heute, Sonntag, dem letzten freien Tag der Chinese-New-Year-Woche, musste ich mal wieder bisschen was einkaufen. Viele Restaurants, Geschäfte und andere Dienstleister haben zu. Carrefour hat aber auf. Und der Einkauf ging schnell und stressfrei vonstatten. Niemand, der drängelt und einen anrempelt oder durch ein Megaphon anschreit. Keine 3 Kilometer lange Schlange an der Kasse. Und die Straßen? Menschenleer. Ich konnte eine 6-spurige Straße einfach so und sicher überqueren. Das ist sonst nicht mal an einer auf Grün geschalteten Fußgängerampel möglich. Von den 20 Millionen Einwohnern Pekings sind gefühlt zur Zeit nur 47 da. Toll. 

Trotzdem wickel ich mir jetzt erstmal meinen Jogging-Longyi um und leg mich auf die Couch. Eine frisch gebrühte Tasse Nescafe Gold steht in Reichweite.