Sonntag, 9. Juni 2019

56| High Five

Freitag war das Drachenbootfest, welches im traditionellen chinesischen Kalender auf den 5. Tag des 5. Monats fällt, und deshalb auch "Doppel-Fünf-Fest" genannt wird. Es wird zwar hauptsächlich in Südchina begangen, trotzdem hatten wir frei, sodass wir - auch wenn es Pfingsten hier nicht gibt - ein langes Wochenende genießen konnten. Mal ganz entspannt. Und mal nicht in den Flieger steigen.

Am Freitag machten wir zu Dritt einen Ausflug in den Garden Expo Park im Südwesten Pekings. Aus dem Nordosten der Stadt kommend, waren wir nach 70 Minuten Fahrt mit der U-Bahn bereits da. Die internationale Gartenbau-Ausstellung findet nach 2013 das zweite Mal in Peking statt. 2003 war sie z.B. in Rostock zu Gast.
Eine weitläufige Parkanlage mit verschiedenen Themen-Gärten unter dem Motto "Live Green, Live Better"- und das bei nicht besonders guten Luftwerten. Nix wahnsinnig spektakuläres, aber durchaus mal einen Besuch wert.

 
 

Den Freitagabend ließen wir entspannt bei Abendessen und lecker Bierchen ausklingen.


Der Samstagabend stand dann ganz im Zeichen der Kultur - Konzert des Gewandhausorchesters Leipzig im NCPA. Allein das Gebäude zu besichtigen ist absolut lohnenswert.

 
 

Um nicht aufzufallen, habe ich mich sicherheitshalber bei Kollegen erkundigt, was man hier zu so einem Konzert anziehen sollte. Bloß nicht übertreiben, Chinesen kommen durchaus wie die Flodders zu solchen Veranstaltungen. Ich entschied mich für Jeans und weißes Hemd. Mein chinesischer Sitznachbar schien indes direkt vom Angeln gekommen zu sein - mit T-Shirt, Strohhut und zerrissenen Shorts.

 
 

Nach einem beeindruckenden Konzert gab's noch ein Weinchen am Rande des abendlich erleuchteten NCPA.


Heute, Sonntag, gibt's nachher gleich ein gemeinsames Frühstück, und dann muss ich mich mal wieder durch den Behördensumpf kämpfen. Ich habe das neue Visum für mein zweites Jahr hier und muss zunächst im Management Büro meines compounds eine neue Wohnbestätigung einholen, und mit der und diversen anderen Unterlagen zu meiner Polizeistation um mir ein aktuelles Anmeldeformular ausstellen zu lassen.

Update von 16:45 Uhr
Ich habe das neue "Accomodation Registration Form", und es hat nahezu problemlos funktioniert. Gerade komme ich von einer lieben Kollegin und ihrer Familie, wo ich nicht nur ein Käffchen bekommen, sondern auch'ne Tupperdose voll Königsberger Klopse abgesahnt habe. 
High Five. 🤚
 
 

Mittwoch, 5. Juni 2019

55| Zur Wahrheit gehört aber auch...

...trotz vieler aufregender Dinge, die ich bereits sehen und erleben durfte, trotz toller Reisen, die ich unternehmen und trotz spannender Lebenserfahrungen, die ich machen konnte, das Leben in dieser Stadt saugt mir ganz gewaltig die Energie aus dem Körper.
Ich habe das Gefühl, ein Peking-Jahr sind vier Menschen-Jahre. Jedenfalls sehe ich, wenn ich morgens in den Spiegel gucke, einen um so viele Jahre gealterten Mann. Vielleicht liegt das aber nur an meinen deutlich schlechter gewordenen Augen. Abgenommen habe ich auch. Wer also noch das Michelin-Männchen vor Augen hat, wenn er an mich denkt, wird sich wundern.
Möglicherweise schwingt aber auch schon ein bisschen Heimweh nach Deutschland mit, nach der Elbe, nach der Ostsee, nach guter Luft, nach lieben und vertrauten Menschen (die es hier aber auch gibt), das mir Peking momentan noch anstrengender vorkommen lässt, als es vielleicht wirklich ist.
Noch 27 Tage.
Die letzten Tage und Wochen waren aber nicht nur gefühlt anstrengend:

DIE HITZE

Seit drei Wochen hatten wir kaum einen Tag unter 30° C, sondern meist deutlich drüber. Das habe ich doch etwas unterschätzt.


Und wenn ich mir vorstelle, so geht das noch mindestens bis September, wobei nun auch die Luftfeuchtigkeit immer weiter zunehmen wird, sorgt das nicht gerade für Wohlbefinden bei mir. Meine Wohnung heizt sich gefühlt auf 1000° C auf, das Thermometer zeigt zumindest eine Innentemperatur von 29° C an, da von mittags bis zum Sonnenuntergang die Sonne auf meine Fenster knallt. Lüften ist da auch nicht immer so'ne gute Idee, da es in der letzten Zeit nicht sonderlich windig ist. Und das heißt, die Luftwerte sind schlecht. Nachts schlafe ich ausschließlich mit geschlossenem Fenster bei laufender Klimaanlage. Tagsüber aber ununterbrochen das Ding laufen zu haben, finde ich ökologisch bedenklich, und außerdem geht das trotz geringer Energiekosten mit der Zeit ins Geld. Die Fenster und Fensterrahmen heizen sich nachmittags dermaßen auf, dass man von innen ein Ei dagegen schmeißen könnte, und wenn es unten ankommt, wär es ein Spiegelei. Wär vielleicht wirklich einen Versuch wert. Oder ich experimentier mal mit Toast Hawaii.

DER INFEKT

In der Nacht zum letzten Freitag ereilten mich aus heiterem Himmel Magenkrämpfe und Fieber bis 39° C. Bei der telefonischen Terminvereinbarung mit der internationalen Klinik am nächsten Tag bat ich um einen möglichst deutschsprachigen Arzt, hatte mir aber schon englische Vokabeln für die bei mir auftretenden Symptome rausgeschrieben. Ich bekam letztlich Samstagmittag einen Termin bei einer japanischen Ärztin mit blauen Haaren, die mich mit "Grüß Gott!" begrüßte. Die Untersuchung ergab einen wohl durch Viren ausgelösten Magen-Darm-Infekt mit (fast) allen special effects, die so ein Infekt halt mit sich bringt. Inklusive einer schon fortgeschrittenen Dehydrierung. Seit Montag gehe ich trotzdem wieder zur Arbeit. Dieser erste Arbeitstag hat mich doch ziemlich viel Kraft gekostet. Es wird aber von Tag zu Tag etwas besser. Bis heute nehme ich noch ein Präparat, das die Magen- und Darm-Flora wieder in Ordnung bringen soll, und dann hoffe ich, dass bis zum Wochenende alles wieder in normalen Bahnen läuft. Die Ärztin sagte aber auch, dass die Durchfall-Saison hier nun erst beginne. Auf englisch klingt es allerdings nicht ganz so bedrohlich: Diarrhea Season. Hört sich nun eher nach einem Techno Festival in Sachsen-Anhalt an.

DAS VPN

Am Wochenende krank zuhause zu liegen, ist echt doof.
Am Wochenende krank zuhause zu liegen und das Internet nicht wirklich nutzen zu können, weil das VPN mal wieder komplett gesperrt ist, ist echt sch....
Seit Freitag war so gut wie kein Aufbau einer VPN-Verbindung möglich. Wenn man Glück hatte, huschte mal eine WhatsApp-Nachricht durch, aber mehr war nicht zu machen. "We're working to restore connectivity in China, which is significantly impacted by political events."
Seit dem Abend des 04. Juni scheint es sich nun wieder Schritt für Schritt zu normalisieren. Warum?
Ein Blick genau 30 Jahre zurück liefert eine Erklärung. Was im April als friedlicher Protest mit Demonstrationen und Kundgebungen begann, wurde in der Nacht vom 03. auf den 04. Juni gewaltsam zerschlagen und endete mit vielen, vielen Toten. Ich verzichte hier ganz bewusst auf bestimmte Schlüsselwörter, sind die Ereignisse von damals immer noch ein absolutes Tabu in China. Ein Erinnern und Gedenken ist strengstens verboten. Totschweigen heißt die Devise.

DER LIFT

Als ich heute mit dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause kam - und das bei ziemlich schwülen 29° C - stand ich schweißgebadet vor zwei offenen Fahrstuhltüren. Beide Fahrstühle wurden gewartet. Was blieb mir übrig als die Treppe zu nehmen. Hoch in den 29. Stock. Komplett durchnässt kam ich dort nach gefühlt 20 Minuten endlich an.

Es gibt aber auch ein paar Lichtblicke.

DAS BROT

Am Sonntag hat ein Kollege Brot gebacken, und ich durfte freundlicherweise eines probieren.
 

Lecker. Mit Kümmel. Ich habe schon lange nicht mehr so ein fantastisches Brot gegessen. Ich nenne ihn jetzt nur noch Olaf, den Brot-Gott. Ich werde in Deutschland ganz viel Brot essen mit grober Leberwurst.

DAS KONZERT

Für den kommenden Samstag hat eine Kollegin Karten besorgt für ein Konzert des Gewandhausorchesters Leipzig im NCPA.


Das Gebäude hatte ich ja schon mal in einem früheren Post vorgestellt. Jetzt geht's also auch mal hinein, und es gibt Kultur auf die Ohren - die 5. Sinfonie in B-Dur von Anton Bruckner. Das nur für die Experten unter den Lesern meines Klassik-Journals. Mir sagt das erstmal nichts, ist aber bestimmt schön.