Montag, 19. August 2019

61| Frau S. lässt grüßen

Samstag war ich spontan im Ritan Park oder Sonnenaltar-Park. Die Luft war gut, und mir fiel auf, dass ich dort zuvor noch gar nicht war. Der Sonnenaltar wurde während der Ming-Dynastie angelegt und wie auch der Himmels-, der Erd- und der Mond-Altar von den jeweiligen Kaisern zu Opferzwecken genutzt. Ein nicht all zu großer, schön angelegter, ruhiger Park.

 
 
 

Praktischerweise befindet sich in unmittelbarer Nähe der Silk-Market, wo ich mir täuschend echt aussehende Marken-Bluetooth-Kopfhörer kaufte. Für'n Sport super praktisch. Nur war ich mit der Bedienung noch nicht ganz vertraut, und wie von Geisterhand riefen die Kopfhörer mehrmals bei jemandem in Deutschland an. Nun war es bei mir so 11 Uhr mittags, in Deutschland also 5 Uhr morgens. Hoffentlich hatte derjenige sein Handy aus.
Gestern war ich dann mal wieder im Fitness-Studio und Schwimmen. Bisher hatte sich niemand daran gestört, dass ich ohne Badekappe meine Bahnen zog, wunderte mich aber schon, dass alle anderen eine trugen. Gestern nun wurde mir zu verstehen gegeben, dass ich auch eine aufziehen muss. Also ab zu Decathlon das billigste Modell geshopt. Bei der Anprobe wurde mir schlagartig bewusst, dass ich das letzte Mal so'n Ding vermutlich beim Schwimmunterricht auf hatte. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Schwimmen bei Frau S. war für mich der blanke Horror, nicht nur, weil wir zwischen ihren Beinen unter ihr hindurch tauchen mussten. Ein Wasserschlauch, eine lange Stange, Badelatschen und eine Flasche Milch sind die Zutaten für eine gruselige Geschichte, die ich hier aber nicht erzählen werde. Einige der Leser kennen diese Schauergeschichten ohnehin schon. Ich machte mir abends lieber'ne Buddel Wein auf um schnell wieder zu vergessen.
Mittwoch haben wir unseren Kollegiumsausflug, es soll zum Yinshan-Pagodenwald am Silberberg nördlich von Peking gehen, nur wenige Kilometer von den Ming-Gräbern entfernt. Wenn es sich lohnt, werde ich sicherlich an dieser Stelle davon berichten. Wenn nicht, erzähl ich noch'n bisschen vom Schwimmunterricht bei Frau S..

Der Ausflug hat sich gelohnt. 
Der Yinshan-Pagodenwald besteht aus sieben Pagoden aus der Jin- und Yuan-Dynastie (der geschichtlich Interessierte Leser möge bitte selber nachschlagen, wann die stattgefunden haben), die ursprünglich im Hof eines inzwischen zerstörten buddhistischen Tempels standen. Das Ganze liegt noch dazu in einer wirklich sehr schönen Berglandschaft etwa anderthalb Stunden Busfahrt (und Stau) von Peking entfernt.


In dieser Berglandschaft haben wir anschließend den ein oder anderen Gipfel erklommen und sind mit wunderbaren Aussichten belohnt worden.


Heute, Samstag, den 24. August, bin ich spontan und schnurstracks an der auf dem Schreibtisch liegenden Arbeit vorbei zum Yuyuantan Park im Westen Pekings gefahren. 20 U-Bahn-Stationen hin, 20 auch wieder zurück - zusammen für umgerechnet 1,25 €. Was kostet noch gleich Kurzstrecke in Hamburg? Ach, richtig, 1,70 €. Der ziemlich große (137 Hektar) und fast zur Hälfte mit Wasser bedeckte Park hat seine Ursprünge in der Qing-Dynastie, ist letztendlich aber erst in den 1960-er Jahren als Stadtpark gestaltet worden.


Vorn links in obigem Bild sieht man mich übrigens gerade meine täglichen lockeren Dehnungsübungen machen.
Westlich des Parks befindet sich der 405 m hohe CTVT, Pekings Fernsehturm.


Dessen Observation-Deck in 238 m Höhe hab ich bei 32 °C und moderaten Luftwerten dann natürlich auch noch gleich mitgenommen.


Da haben wir es wieder - Schloss Neuschwanstein. Keine 11000 Kilometer in diese Richtung.
Übrigens, als wären Chinesen nicht so schon laut genug. Hier oben haben sie die einmalige Gelegenheit durch einen überdimensionalen Trichter ihre Gedanken in die Welt hinauszubrüllen.


Nu bin ich wieder zuhause. Die Arbeit liegt immer noch auf dem Schreibtisch. Verdammt!
Und nächsten Samstag ist der alljährliche Männerabend. Ich weiß gar nicht, was angsteinflößender ist: Unter Frau S. durchtauchen oder der Tag nach dem Männerabend.

Und jetzt - am Abend des 29.August 2019 - noch ein kleiner Ratespaß für die ganze Familie: Luftkurort mit 6 Buchstaben?


Richtig, Peking. Zur selben Zeit, wo für Hamburg ein Luftqualitätsindex von über 60 im Internet angegeben wird, beträgt er hier nicht 900, auch nicht 90, nein, sage und schreibe 9. Da geh ich doch glatt nochmal raus und rauch eine.





Sonntag, 11. August 2019

60| Dalian

18:45 Uhr ist der Flieger mit einer Stunde und 15 Minuten Verspätung in Dalian gelandet, oder vielleicht sollte ich eher sagen, ist die Notwasserung geglückt.


Vor dem Verlassen des Flugzeugs bekam jeder eine Zeitung gereicht um sich damit notdürftig vor dem Regen zu schützen. 14 Stationen ging"s mit der Metro zum Zhongshan Sqare, in dessen unmittelbarer Nähe sich mein Hotel befindet. Am Ausgang der Metro-Station musste ich einsehen, dass ein Umziehen unausweichlich ist: Regenponcho und Badelatschen. Half auch nicht viel, Gepäck nass, Klamotten nass.
Nun sitze ich mit weitestgehend trockenem T-Shirt, leicht nasser Sporthose und'nem großen Bier in der Hotelbar.
Mir stand dann aber doch noch der Sinn nach einer abendlichen Zigarette. Also mit Regenschirm und dem einzig geeigneten Schuhwerk - Badelatschen - bewaffnet ab in die Fluten.


Hält der Wetterbericht, was er für morgen verspricht, baue ich eine Arche.

1. Tag: Dalian, Venedig, Moskau, Bayern
Auf den Bau der Arche habe ich zunächst verzichtet. Zum einen habe ich noch keinen Baumarkt gefunden und zudem zwei linke Hände, zum anderen wegen des Wetters. 25 Grad, 90 % Luftfeuchtigkeit, ebenso hoch die Regenwahrscheinlichkeit.


Aber der aus den tief hängenden Wolken immer wieder mal fallende Regen ist nicht zu vergleichen mit dem Weltuntergang gestern. Man kann es heute sogar wagen mit festem Schuhwerk vor die Tür zu gehen. Ich ging noch ein bisschen weiter. Erstes Ziel das Dalian International Conference Center. Futuristische Architektur unmittelbar am Wasser.


Und nach einigen Schritten entlang der obigen Promenade fand ich mich plötzlich in Venedig wieder.


Nach Venedig ging's weiter nach Moskau. Naja, zumindest in die Russia Custom Street. 1897 bis 1905 gelangte Dalian unter russische Herrschaft, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von China und der Sowjetunion gemeinsam verwaltet und 1955 an China zurück gegeben. Daher der russische Einschlag.


Soweit das Auge reicht Matroschkas, Schmuck, russische Schokolade, Nippes und Zigarettenetuis mit Lenin, Stalin, Putin oder nackten Brüsten drauf.
Gegen Abend bin ich zum Xinghai Square gefahren, der ebenfalls ans Meer grenzt. Die Promenaden unmittelbar am Wasser waren allerdings gesperrt. Taifun "Lekima" soll heute Nacht in abgeschwächter Form Dalian streifen.
So ziemlich das erste, was mir vor die Linse kam, war das folgende Pferdegespann.


Deutsches Kulturgut selbst im entferntesten China. Und ein Hotel, das mich ein bisschen an Schloss Neuschwanstein erinnerte.


Genug der bayerischen Impressionen, es folgen Bilder vom Xinghai Square.


Schon auf dem Nachhauseweg hörte ich plötzlich aus dem Dunkel Humtata-Musik. Da fiel mir wieder das Pferdegespann ein. Auf ein Bier kehrte ich ins zünftige "German Beerhouse" ein.


O'zapft is.

2. Tag: Dauerregen
Es ist jetzt 15 Uhr und eigentlich regnet's bisher durchgehend. So'n fieser Nieselregen bei angenehmen 24 °C und unangenehmen 94 % Luftfeuchtigkeit. Hätt man auch im Bett bleiben können. Ich hingegen war im Laodong Park.


Von dort ging's hoch auf einen kleinen Berg zum Dalian Sightseeing Tower.


Der war jedoch zugenagelt. Egal, Fernsicht gleich Null.


Besser war da schon die Aussicht danach.


Was ich mich gefragt habe: Costa Cordalis lebt nicht mehr, oder?
Mittlerweile ist es 16 Uhr, die Wolken sind endlich aufgerissen, blauer Himmel und strahlender Sonnenschein.
Quatsch, es regnet nachwievor.
Doch zum frühen Abend, als ich auf dem Weg zur Metro bin, hört der Regen tatsächlich auf. Drei Stationen später nieselte es aber schon wieder. Ich war am People's Square; ein großer Platz, ähnlich dem Platz des himmlischen Friedens in Peking, wo sich die Parteibonzen vermutlich bejubeln und beklatschen lassen. Nicht weiter der Rede wert.


Zu letztem Gebäude fiel mir spontan Fettes Brot ein: "Es ist Neunzehn-Sechsundneunzig, meine Freundin ist weg und bräunt sich in der Südsee...". So, mehr fällt mir nu aber nicht mehr ein. 
Es ist Neunzehn : Sechsundfünfzig, mein Bier ist kalt und sehr süffig in der Hotelbar. Vorher war ich noch schnell in der Waschküche eine rauchen (100% Luftfeuchtigkeit).


Übrigens, zu den Fernsehsendern im Hotel gehört auch BBC World. Das allein ist schon eine Notiz wert, aber was ich heute feststellen musste, ist schon echt übel. Heute Nachmittag hielt ich's für Zufall, nachdem's heute Abend mehrmals auftrat, ist klar, es passiert gezielt und systematisch. Immer, wenn es Berichte über die Ereignisse in Hong Kong gibt, wird der Bildschirm schwarz. 
In was für einem Land lebe ich hier eigentlich? Und in welchem Jahrhundert? Unfassbar.

3. Tag: Die Promenade und die AAAAA-Attraktion
Heute wollte ich eigentlich zu einer Scenic Area an der Küste. Dafür wartete ich zunächst eine halbe Stunde vergebens auf einen entsprechenden Bus, suchte anschließend weitere 20 Minuten ebenfalls vergeblich im näheren Umfeld des Zhongshan Platzes nach alternativen Buslinien. Letztendlich landete ich an einer schnöden Promenade. Den einzig netten Ausblick habe ich natürlich eingefangen.


Dass die Promenade für ein paar 100 Meter durch eine Baustelle voller Bauschutt unterbrochen war und man sich erst zwischen zwei Bauzäunen zur anderen Seite hindurchquetschen musste, und dass auf ihr jede Menge Müll und eine Wasserleiche lagen (Kein Scheiß, zwei Wachleute waren gerade dabei, sie von allen Seiten zu fotografieren) habe ich bewusst nicht eingefangen.
Am Nachmittag versuchte ich einen zweiten Anlauf und fragte in der Hotel-Lobby am Touri-Infoschalter. Schade nur, dass beide Damen kein Englisch sprachen. Alternativprogramm: Laohutan Ocean Park, eine AAAAA-Tourist-Attraction. Na, wer weiß noch, was das bedeutet?
Halbe Stunde Suche nach der richtigen Bushaltestelle, halbe Stunde Busfahrt und ... ich ließ den Park links liegen. Ein bunter, hässlicher Park mit Fahrgeschäften, irgendwelchem Vergnügungskram und einem Badestrand an einer piefigen Lagune. Und das Ganze für 180 RMB, umgerechnet etwa 23 Euro.


Ich ging so etwa 2 Kilometer weiter, bis ich ihn doch noch entdeckte - einen schönen und ruhigen Ort. Auf einer Klippe oberhalb einer einsamen Bucht mit Blick auf das Ostchinesische Meer.


Später kamen noch ein einheimisches Pärchen und ein Angler hinzu.


So, abschließend folgen ein paar Impressionen vom abendlichen, nicht verregneten Dalian.


Prost und Gute Nacht!

4. Tag: Der Goldkieselstrand und das Highlight
Heute kam erstmals die Sonne raus, passend zu meinem Ziel, die Jinshitan Scenic Area. Fast 30 Minuten Fußmarsch zur Dalian Railway Station und weitere gut 50 Minuten Zugfahrt brachten mich in eine regelrechte Vergnügungsstadt mit allem, was das chinesische Herz höher schlagen lässt, natürlich eine AAAAA-Tourist-Attraction. Zentraler Ort darin der Goldkieselstrand.


Mein eigentliches Ziel, der Dalian Coastal National Geopark, lag aber nochmal etwa 6 km davon entfernt. Ein langer Küstenabschnitt mit über 500 Millionen Jahre alten geologischen Formationen, Felsen, Arches und Buchten. An jeder Ecke des Trails ein neuer, großartiger Ausblick. Das war wirklich ein Highlight. Ich lasse jetzt einfach Bilder sprechen.



Den letzten Abend verbringe ich dort, wo mein Kurzurlaub begonnen hat - am Zhongshan Square. Nur heute ist es kein See, sondern ein Platz voller Leben: Kinder spielen, Paare tanzen, es wird Karaoke gesungen, Männer spielen Karten.


Ein Fazit: Dalian hat gegenüber Peking einen ganz entscheidenden Vorteil, es liegt am Meer. Es soll einer der beliebtesten Sommerurlaubsorte Chinas sein. Das erschließt sich mir nicht ganz. Ich habe manch Schönes gesehen, trotzdem: Dalian kann, muss aber nicht.

Da steh ich nun wieder auf meinem kleinen Raucher-Balkon bei milden 25 °C, einer Luftfeuchtigkeit von 30 %, einem für Peking sensationellen Luftqualitätsindex von 25 und'nem 4 Grad kalten Dosenbier.


Was wird das zweite Jahr hier an Überraschungen und Abenteuern für mich bereithalten? Ich bin gespannt.