Montag, 3. Februar 2020

77| Beijing, the corona-edition

Peking wirkt zur Zeit ein bisschen gespenstisch, andererseits total schön. Fast wie eine mecklenburgische Kleinstadt.
Zum einen hat's gestern - und das ist eher selten - geschneit.


Zum anderen ist es gerade herrlich ruhig in der Stadt. Man hört in Peking Vögel zwitschern. Die Baustelle vor meinen Fenstern ist verwaist. Kaum Autos auf den Straßen, nur wenige Menschen unterwegs.


Und das, obwohl die Chinese-New-Year-Ferien eigentlich wieder zu Ende sind. Doch viele Geschäfte, Dienstleister und Restaurants haben wegen einer möglichen Ansteckungsgefahr durch das neue Corona-Virus geschlossen. Aber keine Sorge, es gibt (bisher) keine Lieferengpässe. Das Einkaufen gestaltet sich nur noch etwas umständlicher als sonst.
Überall hängen rote Warnzettel, denen meine Übersetzungs-App nur ansatzweise einen Sinn verleihen kann: "Großes Zuhause gut! ... Mit dem Körper während der Zeit geöffnet, kann elektrisch sein."
An neuralgischen Punkten, wie U-Bahn-Stationen sind inzwischen Wärmebildkameras zur Kontrolle der Körpertemperatur installiert. Bei der Menge an Überwachungskameras hier fällt das aber nicht weiter ins Gewicht.
Paketboten und Lieferdienste dürfen manche compounds, so auch meinen, nicht mehr betreten, und so werden Päckchen oder bei McDonalds bestellte Burger auf einem Tisch vor dem Tor abgestellt.


Die Seite der Pekinger Stadtregierung empfiehlt größere Menschenansammlungen wie z.B. in überfüllten Kaufhäusern, Schachzimmern oder Mahjong-Hallen zu meiden sowie zuhause gut zu lüften und der körperlichen Verfassung entsprechende Indoor-Aktivitäten zu betreiben. Unter Führung der Kommunistischen Partei wird aber alles gut.
Auf derselben Seite fand ich eine offizielle Zahl aktuell in Peking am Corona-Virus Infizierter (02.02., 12:00 Uhr): 192. Einwohnerzahl in Peking (2019): 19,6 Millionen. Macht einen Prozentsatz von 0,00098 % an Infizierten in Peking, wobei die Dunkelziffer um einiges höher liegen dürfte.
Die Maßnahmen der chinesischen Behörden mögen übertrieben wirken, sind vor dem Hintergrund der hohen Bevölkerungsdichte in den Städten in gewisser Weise nachzuvollziehen, haben aber mit Sicherheit auch eine nicht zu unterschätzende innenpolitische Komponente, die Stärke und Durchsetzungskraft des Regimes demonstrieren soll. Was die (westlichen) Medien und die sozialen Medien im Internet aus dieser Krisensituation machen, ist in meinen Augen zum Teil haarsträubend und schürt unnötig Angst und Hysterie.
Wir werden hier regelmäßig durch unsere Arbeitsstelle in Kooperation mit dem deutschen Botschaftsarzt auf den neuesten medizinischen und (arbeits-) organisatorischen Stand gebracht. Darüber hinaus gibt es ebenso regelmäßige Informations-Mails vom Auswärtigen Amt bzw. der deutschen Auslandsvertretung in China zum aktuellen Stand der Entwicklung.
Soweit meine Erfahrungen und Eindrücke, die sich mir derzeit in Peking bieten.

Inzwischen habe ich mein Home-Office weitestgehend eingerichtet, es ist ausreichend Kaffee im Haus, Chips und Schokolade liegen in Griffnähe um mein Laptop herum verteilt, an dem ich die nächsten Wochen meine Arbeit verrichten soll und über das alle aus der Arbeitsgruppe in Bangkok gelacht haben. Weiß gar nicht, warum. Es ist ein schlankes und modernes Gerät von 2009.
Heute vormittag hatten wir die vorerst letzte Dienstbesprechung, in deren Anschluss unsere Arbeitsstelle bis mindestens 16. Februar geschlossen und regelmäßig mit Desinfektionsmittel eingenebelt wird. Wie es danach weitergeht - zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig ungewiss.
Nun gibt's erstmal Abendbrot. Ich habe in einem Supermarkt abgepacktes, aus Deutschland importiertes Vollkornbrot ergattert - zwei Packungen für umgerechnet fast 10 Euro. Eine liebe Kollegin hat mir eine Tupperdose selbstgemachte Kartoffelsuppe mitgegeben. Die nächsten Tage muss ich das Haus nicht unbedingt verlassen. Ein paar meiner körperlichen Verfassung entsprechende Indoor-Aktivitäten bei geöffnetem Fenster sollten reichen.

Mittwoch, der 05.02.: Gestern war ich mit einer Kollegin im fast menschenleeren Peking spazieren. Es war kalt, sonnig und sehr gute Luft. Und zumindest bei McDonalds bekommt man auch noch einen Kaffee. 
Das Auswärtige Amt hat für China eine Teilreisewarnung ausgesprochen, dabei hätte ich gerade jetzt etwas mehr Zeit für Besuch. Und auch wenn ich es momentan überhaupt nicht in Betracht ziehe, so gibt es seit gestern zumindest den Hinweis des Auswärtigen Amtes: "Sollten Sie sich in China aufhalten, erwägen Sie in Anbetracht der zunehmenden Einschränkungen Ihre vorübergehende bzw. vorzeitige Ausreise.".
Wie ich in unserem Kollegen-Chat erfuhr, ist man da in Bayern schon ein bisschen weiter:


Dazu passt auch folgende ganz aktuelle Nachricht:


Donnerstag, der 06. 02.: Soeben kam die Info, dass die Schließung unserer Arbeitsstelle aufgrund der sich aktuell verschärfenden Situation mindestens den gesamten Monat Februar andauern wird. Kein Mensch weiß, wie sich das Ganze noch entwickeln wird und wann die Ersten hier einen Lager-Koller erleiden werden.

Freitag, der 07.02.: Heute mal eine tagesaktuelle Zeichnung zum alles beherrschenden Thema in China und dessen (nicht nur medizinische) Tragweite.


Die Geschichte hinter diesem Bild kann hier in China eine enorme Sprengkraft entwickeln.
Ansonsten vormittags 4 Millionen E-Mails abgearbeitet. Dann Winterspaziergang.


Anschließend weitere 4 Millionen E-Mails weggearbeitet. Es warten schon die nächsten in der Leitung.

Samstag, der 08. 02.:  Es ist nichts passiert, außer dass ich auf dem eisglatten Radweg mit dem Fahrrad ausgerutscht und in eine schneebedeckte Hecke gefallen bin.

Dienstag, der 11.02.: Körpertemperaturmessung und Maskenpflicht in Supermärkten u. a. öffentlichen Orten. Heute möchte man das Home-Office aber sowieso nicht ohne Maske verlassen.


Ich wohne unter der 287, also nur "very unhealthy" und nicht "hazardous".

Donnerstag, der 13.02.: Chinesische Behörden haben ihre Erfassungsmethoden "überarbeitet". Danach ist nun die Zahl der am Corona-Virus Infizierten sprunghaft gestiegen. Ich gebe meinem heutigen Tag in Anlehnung an "3 Engel für Charlie" den Titel "3 Fiebermessungen für ein Baguette".

Samstag, der 15.02.: Irgendwas ist immer. Nachdem es in letzter Zeit gut lief mit dem VPN, ist seit gestern mal wieder Schicht im Schacht. Ich habe zwar noch ein zweites (funktionierendes) VPN auf dem Handy - sonst könnt ich auch gar nicht diese Zeilen schreiben - aber das ist nur eine Notlösung.
Naja, wenigstens hat der starke Wind Pekings Luft sauber gepustet und einen ungetrübten Blick auf die Berge freigegeben.


Sonntag, der 16.02.: Draußen fegt ein eisiger Wind durch Peking. Ach, was sag ich, nein, auch durch meine Butze. Undichte Fenster, ein Spalt zwischen Wohnungstür und Fußboden, dass man'ne Scheibe Toastbrot durchschieben könnte und dazwischen steht meine Couch. Darauf sitzt es sich wie auf dem Pinneberger Marktplatz. In Ermangelung eines Zuglufttiers hab ich jetzt'ne lange Hose zu einer Wurst gerollt vor den Türspalt gelegt. Nu geht's.
Derweil wird hier die nächste Stufe der Corona-Rakete gezündet. In meinem compound bekommt jetzt jeder Bewohner einen Passierschein um die Wohnanlage betreten oder verlassen zu können.

Montag, der 17.02.: Nachdem man mich heute fast nicht mehr zum Einkaufen aus meiner Wohnanlage heraus lassen wollte, habe ich meine Maklerin wegen des Passierscheins in die Spur geschickt, immerhin muss ich morgen früh zu einer Dienstbesprechung. Jetzt hab ich ihn, allerdings nur gültig in Verbindung mit dem Reisepass.
Langsam wird's hier wirklich absurd und nervig.

Donnerstag, der 20.02.: Mein VPN läuft seit gestern nachmittag wieder. 08:00 Uhr morgens ist in der U-Bahn eigentlich absolute rush hour und dichtes Gedränge. Normalerweise.


Ich bin auf dem Weg zu Workshop-Angeboten, mit denen man uns in Windeseile zu IT-Experten machen will.
Die Einschränkungen im Alltag schlagen sich langsam aber sicher auch in der allgemeinen Stimmung nieder. Eine Kollegin erzählte, dass sie gestern in einem der wenigen noch geöffneten Restaurants essen waren, aber nicht zu Viert an einem Tisch sitzen durften. Der kleine Sohn einer anderen Kollegin feiert morgen Geburtstag, nur leider ohne Gäste, weil in deren Wohnanlage Fremden der Zutritt nicht mehr gestattet ist.
Doch auch positives ist zu vermelden: Es gibt seit Ewigkeiten mal wieder meinen Wein. Heute Abend wird sich meine Stimmung aufhellen.
Ich empfehle an dieser Stelle den knapp halbstündigen Beitrag des ZDF-China-Korrespondenten Ulf Röller zur aktuellen Lage in China sowie den medizinischen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Epidemie. Zu finden in der ZDF-Mediathek oder hier.

Mittwoch, der 26.02.: Der Winter weicht dem Frühling und mir fällt die Decke auf den Kopf. So hab ich das Home-Office einfach mal für ein paar Stunden verlassen. Spazieren gehen im Yuan Dynasty Capital Wall Site Park. Ein etwa 10 m hoher Erdwall lässt die alte Stadtbefestigung erahnen.


Anschließend gab's noch moderne Architektur auf die Augen, um dann wieder für mehrere Stunden auf den Computerbildschirm zu starren.


Donnerstag, der 27.02.: Heut war ich mit dem Taxi unterwegs, und mein Fahrer war der chinesische MacGyver, der sich aus Plastikstangen, Folien und Tesa eine Infektionsschutzfahrerkabine gebastelt hat.


Sonntag, der 01.03.: Ausflug in den Purple Bamboo Park im Nordwesten Pekings. Wie der Name schon sagt, ein Park mit viel Bambus,  mehr als 50 verschiedene Arten.


Die im Park befindlichen Seen sind bereits während der Ming Dynastie angelegt worden.


Ein wirklich schöner Park mit so mancher lauschigen Ecke.


Montag, der 02.03.: Ich sehe endlich nicht mehr aus wie Robinson Crusoe - mein Friseur hat wieder auf. Und jetzt kann er mal so richtig sein handwerkliches Können unter Beweis stellen, dass er sich nicht mit dem Kamm in den Bändern der Atemmaske verfängt oder sie gleich mit der Schere durchtrennt. 


Obacht im Fahrsuhl. Nicht mehr als vier Leute und - bitte - jeder bleibt in seinem Quadranten.