Samstag, 15. Oktober 2022

86| Herr Schnabel erklärt die Welt

Hello again!

Anscheinend gibt es immer noch Interessenten an meinem Blog, ganz sicher verirrt sich manch einer auch nur aus Versehen hierher, naja, jedenfalls hat die Zahl der Aufrufe inzwischen die 6000er-Marke geknackt, obwohl hier seit dem 11.07.2020 Dunkeltuten angesagt war. 

Den aktuellen Beitrag schreibe ich jedoch nicht, weil ich gerade wieder am anderen Ende der Welt verweile, sonst hieße er ja möglicherweise "Leben und Arbeiten in Tokyo" oder "Leben und Arbeiten in Oer-Erkenschwick". Erledigt hat sich zumindest auf unbestimmte Zeit "Leben und Arbeiten in Moskau". In erster Linie schreibe ich Beitrag 86| aus therapeutischen Gründen.

Vor gut zwei Jahren bin ich nach Deutschland zurückgekehrt. Zeit für ein kurzes Fazit: Das Leben in Peking war ein Adventskalender, der Alltag in Deutschland ist eher ein Abreißkalender. Und es ist viel passiert, nichts ist mehr so wie es war. Nicht alles will, nicht alles werde ich hier thematisieren. Eines schon. 

Es soll hier aber nicht um meine Wohnungssuche gehen, die sich doch langwieriger gestaltete, als ich es befürchtet hatte. Den Betreiber des Apartment-Hotels hat's sicher gefreut. Es gehört mir zwar immer noch nicht, trotzdem habe ich nach dreieinhalb Monaten Aufenthalt dort ziemlich viel Geld gelassen. Und noch zwei, drei Wochen länger im Hotel hätte ich wohl angefangen Likörelle zu malen.

Nein, ich war vor mittlerweile einem halben Jahr für mehrere Wochen in einer Reha-Klinik. Die ersten Tage fühlten sich ein bisschen nach Seniorenresidenz an: Mitpatienten fortgeschrittenen Alters, die bereits um kurz nach Fünf - aufgereiht wie auf einer Perlenschnur - vor dem Patientenrestaurant auf Einlass zum Abendbrot warteten. Herrn Schnabel allerdings habe ich nicht dort, sondern bei einem gemeinsamen Termin in der Lehrküche kennengelernt. Er hat Veggie Nuggets gezaubert (gesund, nicht lecker), während ich mich an einer süß-sauren Antipasti-Variation versucht habe (leicht verbrannt, nicht lecker). Seitdem begegneten wir uns immer wieder. Und selbst wenn er nicht zu sehen war, war doch meist zu hören, wie er anderen - ob sie wollten oder nicht - die Welt erklärte. 

Die Tage in der Reha waren geprägt von Frühstück, Mittag und Abendbrot, von den dazwischen liegenden Untersuchungen, Vorträgen, Gesprächsterminen, Sport- und Entspannungsangeboten. Viel Zeit verbrachte ich trotz allem auch in meinem in fetzigen Beige- und Brauntönen gehaltenen Zimmer, das aber absolut in Ordnung und mit einem kleinen Balkon, einem wöchentlichen Obstkorb sowie vier Notrufknöpfen ausgestattet war. Für den kleinen Appetit zwischendurch gab es ein nettes Café auf dem Klinikgelände, dem ich anfangs täglich einen Besuch abstattete um meine Elf-für-Zehn-Heißgetränk-Bonuskarte abstempeln zu lassen. Und irgendwie verirrte sich jedes Mal ein leckeres Stück Kuchen auf mein Tablett. Nach Intervention meiner Ernährungsberaterin reduzierte ich meinen Süßgebäckkonsum auf eine frisch gebackene Waffel mit warmen Kirschen und einer Kugel Eis sonntagnachmittags. Wenn das Wetter mitspielte, führte mich ein täglicher Spaziergang meist an den Ostseestrand, der etwa 900 m von der Klinik entfernt lag.


Wenn man das so liest, könnte man vielleicht meinen, ich sei zum Abspecken dort gewesen. Wer mich kennt, weiß, dass das wohl in einer Million Jahren nicht passieren würde. Der Grund war ein anderer.

Die nächsten Zeilen sind weder witzig noch kurzweilig, sondern beschreiben knapp eine für mich wahnsinnig traumatische Erfahrung.

Sonntag, 06.03.2022, 17:13 Uhr. Eine innere Stimme lässt mich die 112 wählen. Ich entschuldige mich sogar für meinen Anruf, fühlen sich die einige Minuten zuvor aufgetretenen Schmerzen eher nach – zugegebenermaßen starkem – Sodbrennen an, das mittlerweile allerdings auch in den linken Arm ausstrahlt. An etwas wirklich Ernsthaftes denke ich trotzdem nicht. Meine Schilderung der Symptome muss jedoch in der Notrufzentrale sämtliche Alarmglocken läuten lassen haben, denn schon 7 Minuten später war nicht nur ein Rettungs-, sondern mit ihm auch ein Notarztwagen vor Ort. Gerade Zeit genug für mich, noch schnell die Zähne zu putzen und die Jogginghose gegen eine vernünftige Hose zu tauschen. Nach kurzer Untersuchung erhärtete sich offenbar die Vermutung des Rettungsteams. Das nächste, woran ich mich wieder erinnere, ist der über mich gebeugte Notarzt, der mir eine Sauerstoffmaske auf das Gesicht drückt.

Ich hatte einen schweren Herzinfarkt mit anschließendem Kammerflimmern, das nur durch den Einsatz eines Defibrillators unterbrochen werden konnte. Und der mich letztendlich zurück ins Leben geholt hat. Morphium ist ein geiles Zeug, ich war entspannt - irgendwie. Nachdem ich transportfähig war, brachte man mich in die Notaufnahme eines nahe gelegenen Krankenhauses, von dort ebenso zügig ins Herzkatheterlabor, und ratzfatz war ein Stent gesetzt. Nur einer? Diese überraschte Frage hörte ich in den folgenden Wochen nun des Öfteren von Medizinern. Zwei Tage verbrachte ich auf der Intensivstation, wo sich nochmal ein kritischer Zustand einstellte, der durch zahlreich anwesendes Fachpersonal, darunter eine Intensivschwester, die mir während dieser Zeit die Hand gehalten und den Arm gestreichelt hat, einen Zentralvenenkatheter und reichlich Produkte der Pharmaindustrie stabilisiert werden konnte. Ab diesem Zeitpunkt wurde es schrittweise besser, und nach weiteren 6 Tagen Überwachung auf der Normalstation wurde ich entlassen. Dies war auch der Moment, wo mich die ganze Geschichte mit voller Wucht emotional eingeholt hat, und nun begannen erst 10 Tage voller Unsicherheit und Angst zuhause ohne medizinische Überwachung bis zum Beginn der Reha.

Ängste und Flashbacks an die traumatischen Erlebnisse im März begleiten mich seitdem, längst nicht mehr so schlimm wie in den ersten Wochen, aber doch immer mal wieder. Und auch diese Zeilen zu schreiben, hat mich einiges an Überwindung gekostet. Ich erhoffe mir davon einen gewissen therapeutischen Nutzen.

Seit jenem Vorfall bin ich nun im Besitz eines Koronarstent-Implantationsausweises, einer Tabletten-Box, einer entsprechenden Einnahmeerinnerungs-App und eines Rudergerätes. Nach schweren Wochen, eher Monaten, sowie disziplinierter Arbeit an mir selber, begreife ich den 06.03.2022 ganz langsam als Chance. Offensichtlich sollte ich die Bühne des Lebens noch nicht verlassen.

Und mit Heine: "Herz, mein Herz, sei nicht beklommen" sowie dem durchaus positiven Gedanken, statt am Bahnhof Hamburg Elbgaustraße doch lieber an der Shibuya-Kreuzung in Tokyo tot umzufallen, war ich schon drauf und dran, im November 2022 die Bewerbung für einen erneuten beruflichen Auslandsaufenthalt auf den Weg zu bringen. Diese Entscheidung habe ich nun aber doch bewusst aufgeschoben (voraussichtlich auf November 2023, vielleicht 2024). Irgendwie fühlt es sich nicht richtig an, bin ich doch immer noch nicht hundertprozentig wiederhergestellt und vollumfänglich arbeitsfähig, andererseits wissend, dass solch ein Schritt ins Ausland jede Menge Kraft und Energie von einem abverlangt.

So, genug davon, immerhin ist dies ja eher ein Reise-Blog, und dieser Informationspflicht will ich natürlich auch nachkommen, wenngleich ich leider nicht von Singapur, Südafrika oder den Seychellen berichten kann. Immerhin hat’s in den letzten Monaten u.a. für Dresden, Berlin, Edinburgh, Leipzig oder Amsterdam gereicht.

Dresden mit seiner wunderschönen Altstadt, aber auch der hippen Neustadt ist immer eine Reise wert.


In meinem Fall war diese kleine Auszeit nur zweieinhalb Wochen nach der Reha nicht zuletzt auch ein Test-Ballon, inwieweit ich längere Fußmärsche und Wanderungen schon wieder meistere. Und es ging ziemlich gut. Ausgedehnte Spaziergänge bei herrlichstem Frühlingswetter führten mich entlang des Elbufers, durch die Neustadt oder über das Blaue Wunder zum Weißen Hirschen und vorbei an den Dresdner Elbschlössern. Wunderbar wandern kann man darüber hinaus in der Dresdner Heide, einem großen Waldgebiet im Nordosten der Stadt.


Anfang Juni war ich zum x-ten Mal für ein paar Tage in Berlin und täglich im Fitnessstudio des Hotels. Es hat einfach gut getan. Naja, und was soll ich zu Berlin sagen. Ich mag diese Stadt.

Einen Monat später ging es dann für 5 Tage nach Edinburgh. Eine Reise, die ich eigentlich schon für Ostern geplant hatte, aufgrund der unvorhergesehenen Geschehnisse aber umbuchen musste. Dies war bereits mein dritter Edinburgh-Aufenthalt, gehört doch die Stadt zu meinen absoluten europäischen Lieblings-Destinationen. Dieser Urlaub war jedoch getrübt von der Tatsache, dass mein Gepäck im Gegensatz zu mir erst zweimal in Edinburgh war bzw. leider erst einen Tag nach meiner Abreise in Schottland ankam. Ab da verlor sich seine Spur, und die Hoffnung auf ein Wiedersehen schwand. Doch - oh Wunder - Wochen später wurde es mir zuhause zugestellt – feucht und (irgendwie nach Katzenpisse) stinkend, aber vollständig. 


Die Altstadt mit dem Edinburgh Castle, der Royal Mile oder dem Grassmarket Square, das Dean Village am Water of Leith, der Calton Hill mit spektakulärem Blick auf die Stadt und nicht zuletzt Arthur's Seat - um nur einige Highlights der Stadt zu nennen. Gerade Arthur's Seat, Edinburghs ca. 250 m hoher Hausberg vulkanischen Ursprungs, hatte für mich diesmal eine besondere Bedeutung, gibt es auf dem Weg nach oben einige steile und durchaus anspruchsvolle Streckenabschnitte. Intensiver und bewusster als die Male zuvor genoss ich das Kraxeln auf und die großartige Aussicht vom Gipfel auf die Stadt und die Nordsee.

Und jetzt gibt`s noch eine Restaurant-Empfehlung: China Red – ein asiatisches Buffet-Restaurant in 30 Grindlay St.. Riesige Auswahl, gute Qualität, authentischer Geschmack, Personal auf Zack, angemessener Preis. Ich bin gleich an zwei aufeinanderfolgenden Abenden dort gewesen und beide Male zufrieden und mit’ner dicken Plauze rausgegangen.

Keine zwei Wochen später stattete ich Leipzig für ein paar Tage einen Besuch ab. Thomas- und Nikolaikirche, Marktplatz, Clara-Zetkin-Park, zahlreiche Passagen und Durchgangshöfe in der Innenstadt. Es gibt manches in Leipzig zu entdecken. 

Während meines Aufenthalts dort war es aber sowas von brüllend heiß, sodass ich mich regelmäßig auf’s Hotelzimmer oder ins klimatisierte Fitnessstudio zurückzog. Am letzten Tag erhoffte ich mir etwas Abkühlung im Museum in der „Runden Ecke“ – einer Gedenkstätte in der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale. Was ich mir aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dort holte, war eine Corona-Infektion, an der ich dann auch länger als eine Woche rumlaborierte.

Mitte August war ich für ein paar Tage – und zwar zum 7. Mal – in Amsterdam. Vielleicht kann man es erahnen, Amsterdam gehört zu meinen absoluten Lieblingsstädten in Europa. Und ich beginne gleich mit einer Restaurant-Empfehlung: das China Sichuan Restaurant in Zeedijk 103.

Nirgendwo außerhalb Chinas habe ich bisher so authentische Sichuan Küche gegessen. Innen alles schon ein bisschen schrammelig, fast ausschließlich asiatische Kundschaft – beides beinahe untrügliche Zeichen für gute Qualität auf dem Teller. Auch hier bin ich gleich an zwei Abenden eingekehrt. Ansonsten habe ich mich diesmal einfach entspannt durch die Stadt treiben lassen, moderne und holländische Architektur bestaunt und das schöne Wetter genossen.


Ich werde Amsterdam ganz sicher auch ein achtes Mal einen Besuch abstatten.