Freitag, 20. März 2020

79| Nu reicht's auch mal

Ich hab keine Lust mehr auf das die ganze Welt beherrschende Thema. Wenn auch nicht mehr China, sondern mittlerweile Europa und sicher bald Amerika die dramatischsten Entwicklungen durchmacht. Einzig hilfreiche Maßnahme ist vermutlich wirklich das vorübergehende strikte Einschränken sozialer Kontakte - social distancing.
Zur Ablenkung gibt's erstmal ein bisschen Klassik auf die Ohren. Nein, um Gottes Willen nicht von mir.
bam - The Sound of Bamberg Symphony:


Inzwischen liegen 7 Wochen Home-Office hinter uns. Heute, am Freitag, den 20.03. haben wir uns mit ein paar Kollegen bei 20°C und Sonnenschein an einem Kanal zum Picknick getroffen - soviel zum Thema "social distancing".


Trotz zahlreicher Verbotsschilder...


...nutzten wagemutige Einheimische den Kanal zum Schwimmen und eine der Brücken als Sprungturm.


Doch auch ohne Badehose nutzten viele Chinesen das schöne Wetter und die einladende Uferpromenade zum Spazierengehen oder zur Ausübung ihres Hobbies.


Dass allerdings Picknicken - mitten in der Stadt, als Ausländer, in diesen Zeiten - keine so glorreiche Idee war, mussten wir sehr bald feststellen.
Mehrfache Aufforderungen von patrouillierenden "Aufsehern", sofort das Essen wegzuräumen, Masken zu tragen und Abstand zu halten, Beschimpfungen durch Passanten und zum großen Finale dann die Auflösung der unerlaubten Versammlung durch herbeigerufene Uniformierte. All das begafft, fotografiert und gefilmt von so manchem Schaulustigen. Ein unangenehmes Szenario. Naja, wir hätten sicher auch vorher drauf kommen können.
Nun sitz ich wieder in meinem Home-Office, plane schon mal die 8. Woche vor und hab kiloweise Rohkost im Kühlschrank liegen. Eigentlich wär jetzt Vorfreude auf den Osterurlaub angebracht. Ich wäre gern nochmal nach Japan gereist. Hoch lebe der Konjunktiv II.

Durch den Sturm vorgestern hat sich mein Wohnzimmerfenster irgendwie so verzogen, dass es sich nur noch mit roher Gewalt öffnen lässt und das jetzt, wo sich die Bude schon wieder ganz ordentlich aufheizt. Aber nun kann ich wenigstens meine neuen Business-Anzüge auftragen.


Hmmm, innerhalb kürzester Zeit ein explosionsartiger Anstieg der Aufrufszahlen dieses Posts, und das aus ominösen Quellen, die auf Twitter und Facebook zurückzuführen sind. Sind hier social bots am Werk? Oder ein Virus? Du lieber Himmel, jetzt auch schon im Netz!?
Ich hab sicherheitshalber mal ein paar Schlüsselwörter aus dem Post entfernt. "Badehose" und "Rohkost" lass ich erstmal drin.
Oder hat es schlichtweg mit dem geschlossenen Forum zu tun, von dem aus kurz vor dem Anstieg der Aufrufszahlen auf meinen Blog zugegriffen wurde? Das Impressum verrät, wer Administrator dieses Forums ist. 
Nun ist mein Blog zwar öffentlich zugänglich, aber in erster Linie für Kollegen, Freunde, Familie gedacht - und für gewisse Leute eben nicht.

Auf Empfehlung eines Kollegen haben wir heute, Sonntag, den 22.03. zu Dritt eine kleine Radtour gemacht zu einem wunderbaren Cafe.


Innen schön und relativ leer, auf der Terrasse auch schön und relativ voll. Und wir durften sogar zu Dritt an einem Tisch sitzen. Guter Kaffee, leckere Waffeln.


Das oben rechts im Bild ist aber nicht der Kaffee. Wobei eigentlich doch. Ist der Aschenbecher, gefüllt mit Kaffeepulver.

Home-Office hat den Vorteil, dass der Wecker nicht um 6:30 Uhr klingelt und man sich die Arbeitszeit einigermaßen frei einteilen kann. So bin ich denn heute Mittag einfach ein bisschen am Beijing Greenway spazieren gegangen.


Halt, das ist er gar nicht. Moment. So, jetzt aber.


Letztendlich sind der Beijing Greenway die Uferpromenaden des Kanals, an dem wir vor 3 Tagen unseren Picknick-Versuch unternommen hatten. Unter anderem führt er vorbei am Lama-Tempel.


Zu folgendem Bild kann ich nur sagen: "Klar, da geht doch noch was."


Ich möchte an dieser Stelle übrigens sehr den Podcast "Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten" empfehlen. Zu finden ist er bei NDR-Info, in der ARD Audiothek oder direkt hier.
In Zeiten von fake news und großer Verunsicherung informiert der Leiter der Virologie in der Berliner Charite tagesaktuell, kompetent und unaufgeregt.

Und während China in fünf Stunden (28.03.2020 ab 0:00 Uhr) komplett dicht macht für Ausländer, scheint auf der Baustelle gegenüber langsam wieder Arbeitsalltag einzukehren. Jedenfalls hat heute morgen schon mal eine Handvoll Arbeiter geräuschvoll Bretter und Rohre von einer Seite auf die andere geworfen.
China - aus Sicht manch eines deutschen Drogeriemarkt-Kunden sicherlich ein Paradies...


Andererseits aber auch nicht. Seit heute vormittag geht bei mir die Klospülung nicht mehr. Und wie mir meine Maklerin auf Bitte um Klärung soeben antwortete, betrifft dies alle Appartements oberhalb des 20. Stocks. Es müssen kaputte Teile ausgetauscht werden. Aber in ein, zwei Tagen sei alles wieder gut. 😳

Wie weit geht Peking? - Mit diesem Betreff ging heute eine E-Mail an meine Kollegen und mich raus. Ich dachte schon, was denn nun schon wieder für neue Regeln und weitere Einschränkungen? Es war aber eine Info-Mail bezüglich der Stadtgrenzen Pekings. Wer nämlich während der freien Tage rund um Ostern Ausflüge plant, sollte dabei tunlichst vermeiden Pekings Stadtgrenzen zu überschreiten, sonst findet man sich anschließend für 14 Tage im Quarantäne-Lager wieder. Nicht ganz unwichtiger Hinweis in der Mail: "Stadtgrenzen und Maßnahmen können sich jederzeit ändern."

Heute ist Donnerstag, der 02.04.2020. Morgen nochmal Home-Office, vielleicht auch noch ein bisschen am Wochenende, und dann geht's in die wohlverdienten freien Tage rund um Ostern. Urlaub - beschränkt nur auf die Stadt Peking, wenngleich deren Verwaltungsgebiet ca. 1000 Quadratkilometer größer ist als Schleswig-Holstein. Sollte im Urlaub Langeweile aufkommen, eine Dienst-Mail von heute nachmittag enthielt die erlösende Botschaft: "Sollte ein Dienstgeschäft erledigt werden müssen, so kann das jeweilige Dienstgebäude zu Dienstzeiten betreten und dem Dienstgeschäft nachgegangen werden."
Wie es nach den freien Tagen weitergeht, ließ unsere heutige Dienstbesprechung offen. Alles ist ungewiss. Aufkeimende Sorge in China vor einer zweiten Infektionswelle lässt eher skeptisch in die Zukunft blicken. Im Mai sollte ich eigentlich wieder in Seoul aushelfen. Daraus wird schon mal nix. Und ernsthafte Planungen mit Blick auf den Sommer - sehr zweifelhaft.

Samstag, der 04.04.2020, 10:00 - 10:03 Uhr: Die Fahnen wehen auf Halbmast, das ganze Land steht für 3 Minuten weitgehend still, Autos hupen, Sirenen heulen. Gedacht wird in dieser landesweiten Traueraktion der Opfer der Pandemie und der vielen Helfer im Kampf gegen das Virus.

Bei YouTube bin ich auf die folgende gut halbstündige Reportage von Anfang März 2020 gestoßen, in der ein mit seiner Familie in Peking lebender Journalist das Leben hier dokumentiert, so wie es sich vor allem in den Wochen des Januar und Februar erschreckenderweise angefühlt hat.


Was mir in Wort und Bild sicher nur ansatzweise gelungen ist - ich bin ja auch kein Journalist - entfaltet hier eine umso beklemmendere Wirkung. 

Übrigens selbst wenn ich die ominösen Aufrufszahlen von vor etwa zwei Wochen großzügig herausrechne, freue ich mich inzwischen über tausendmal mehr Aufrufe als Follower meines Blogs. So ist's mir lieber als andersrum. Was sollte ich auch mit 4000 Followern, die meine kleinen Geschichten rund um's Leben und Arbeiten in Peking nur viermal aufgerufen hätten?
Danke für das immer noch bestehende Interesse. 


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