Dienstag, 3. März 2020

78| Corona, a never-ending story?

Als ich den vorangegangenen Post begann zu schreiben, dachte ich, dieser ganze Spuk sei in zwei, drei, vier Wochen wieder vorbei. Am A**** die Räuber - wie eine chinesische Redensart so schön sagt.
Für abverkaufte Schutzmasken gibt es inzwischen zwar Alternativen.


Auch gibt's hier keine Hamsterkäufe, wie man es in den deutschen Medien aus deutschen Supermärkten hört. Klar, manche Regale sind nicht mehr gut bestückt, aber Klopapier gibt's reichlich. Es kehrt insgesamt wieder etwas mehr Leben in Peking ein. Von einer Normalisierung kann allerdings überhaupt nicht die Rede sein.
Heute hatten wir erneut eine Dienstversammlung. Meine Arbeitsstelle bleibt bis auf Weiteres geschlossen. Mögliche Szenarien, wie es weitergehen könnte, sind kolossal absurd. Bei so Manchem sind die Nerven inzwischen zum Zerreißen gespannt. Bei mir ist sowas von die Luft raus.
Und ob ein Oster-Urlaub möglich sein wird, steht völlig in den Sternen. Gebucht habe ich unter den gegebenen Umständen jedenfalls noch nichts. Dabei wäre ein Tapetenwechsel jetzt, wo das Einkaufen fast die aufregendste Abwechslung vom stundenlangen, eintönigen Arbeiten am Laptop, gelegentlichen Dienstversammlungen und Workshops ist, dringend angezeigt, um das Stimmungsbarometer etwas aufzuhellen.

Gestern Workshop, heute Workshop: Ausgabeformat auf MP4-Muxer einstellen, Kanäle verwalten, X264-Kodierer wählen, virtuelle Meetingräume einrichten, Link-Einstellungen ändern, Zugriffe verwalten...mir raucht der Kopf von dem ganzen IT-Zauber.
Am Tor meiner Wohnanlage stehen seit heute, den 05.03. nicht mehr zwei Wachleute in Muammar-al-Gaddafi-Phantasieuniformen (wenn auch nicht ganz so schillernd), sondern es sind ein rotes Zelt und bis zu zwei Leute in blauen Ganzkörper-Schutzanzügen dazu gekommen.


Ich bin ein Expat - holt mich hier raus.

Anhand des Lokals "Wagas", das nun zumindest wieder halbtags von 12 bis 18 Uhr geöffnet hat, möchte ich mal exemplarisch beschreiben, wie "gemütliches" Essengehen zur Zeit in Peking funktioniert:
Mehrere Warnzettel an der Tür, neben dem Eingang ein Klapptischchen mit Desinfektionsmittel, Fieberthermometer und einer Liste, in die man seinen Namen, seine Telefonnummer und die gemessene Körpertemperatur einträgt (Namen und Telefonnummer schreibt man natürlich unleserlich). Was bin ich bei dieser ständigen Fiebermesserei zur Zeit froh, dass die Körpertemperatur nicht mehr auf die Art gemessen wird, wie zu meinen Kindheitstagen, aber das nur am Rande. Bestellung aufgeben (man hat immerhin die Auswahl aus drei Pastagerichten), Platz nehmen an einem Einzel- oder maximal einem Zweiertisch. Das Essen wird serviert - in einem Einweg-Napf und mit Einwegbesteck. Man hat das Lokal noch nicht ganz verlassen, da werden Sitzplatz und Tisch schon desinfiziert. 
Das ist aber nichts gegen McDonalds: Dort ist mittlerweile die Bestellung nur noch über die App möglich (und damit für mich unbrauchbar, da komplett auf chinesich). Warten in einem mit gelb-schwarzem Absperrband gekennzeichneten Bereich mit einem Mindestabstand von einem Meter zum Bedienungstresen. Und dann aber nix wie raus mit seiner Tüte.
Ketten wie "Wagas", McDonalds oder Starbucks, wo man im Moment den Kaffee auch nur vor der Tür trinken darf, werden diese Zeiten sicher überstehen, aber was ist mit den vielen kleinen Läden, Lokalen und Dienstleistern, die nun auch schon seit Wochen geschlossen haben müssen? Wirtschaftliche Existenzen abertausender "kleiner Leute" gehen vor die Hunde. Ein Glück, dass mein Friseur sein Handwerk wieder in den angestammten Räumlichkeiten ausüben darf:


Und die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Weltwirtschaft sind überhaupt noch gar nicht abzusehen, die Börsen kennen zur Zeit jedenfalls nur eine Richtung...abwärts. Kann nicht wenigstens einmal auch jemand an meine Altersvorsorge denken? Gestärkt aus dieser Misere wird vermutlich nur die Klapptischchen-Branche hervorgehen.

So, und nach etlichen Stunden Home-Office heute am Samstag, den 07.03. ist es mir ein inneres Bedürfnis, hier zu teilen, was eine Kollegin heute postete:


Offiziellen Zahlen chinesischer Behörden zufolge zeichnet sich bei Neu-Infektionen mit Covid-19 in China ein Abwärtstrend ab. Im Gegensatz dazu sind die Lebensmittelpreise deutlich gestiegen. Um über 20 % im Februar gegenüber dem Vorjahresmonat. Ein bisschen Geld habe ich aber gerade noch in der Schatulle, und so beantwortete ich heute eine Einladung zu Senf-Eiern mit einer Gegen-Einladung ins "Da Giuliano", einem italienischen Bäckerei-Cafe mit gutem Kaffee und leckeren Törtchen in der Nähe der Deutschen Botschaft. Drinnen freundliches Mailand, draußen grobschlächtiges Peking. Beide eint der Kampf gegen eine weitere Ausbreitung des Corona-Virus. Deshalb auch hier Klapptischchen am Eingang und auf ausreichend Abstand getrimmte Sitzordnung:


Ein Platz mit X - das war wohl nix.

Heute, am 11.03. bin ich ohne Vorwarnung von meinem Tisch aufgesprungen und spontan zur Verbotenen Stadt gefahren. Ein sehr wirksames Mittel gegen Home-Office. Nun wusste ich natürlich, dass die Verbotene Stadt ebenfalls geschlossen ist. 


Aber bei angenehmen 8-10 Grad und strahlendem Sonnenschein kann man auch wunderbar die gut 5 Kilometer drum herum spazieren. 


Auf dem Rückweg wollte ich noch schnell in den kleinen Supermarkt huschen unten in meiner Mall. Dort reicht nun seit heute eine Körpertemperaturmessung zum Betreten des Marktes nicht mehr aus. Jetzt soll man vorher einen QR-Code scannen und dann der entsprechenden App vollen Zugriff auf's eigene WeChat-Profil erlauben. Geht's noch? Ich mein, ich bin hier eh schon im kränksten Überwachungsstaat der Welt, und nun soll ich meine persönlichen Daten auch noch für 3 Möhren preisgeben. Ich habe "cancel" gedrückt und bin gegangen. Das ist dann halt ein weiterer Eingriff ins alltägliche Leben, den man hier erdulden muss.
Aber dafür mach ich heute rein zufällig und seit langem mal wieder den Fernseher an, und was sehe ich - alle Sender sind wieder da. Anscheinend hat mein Vermieter die IPTV-Gebühren bezahlt.
Heut abend mach ich mir'n ganz gemütlichen chinesischen Fernsehabend. 
Gerade laufen auf nahezu allen Kanälen die CCTV-Hauptnachrichten. Von 19:00 bis 19:55 wird das ganze Volk von einem humanoiden Moderations-Roboter über die Errungenschaften der Kommunistischen Partei unterrichtet.


Und jetzt: exzessives Zappen durch die Kanäle, Tüte Chips und'n Glas Wein dazu. Perfekt.


Bei all den Beschränkungen, denen man hier tagtäglich ausgesetzt ist, brauchte ich mal wieder das Gefühl in einer Großstadt zu leben, so brach ich heute, am 12.03. zum frühen Abend Richtung CBD (Central Business District) auf.
Hmmm, wo geht's lang?


Hier wohl nicht:


Als alter Pekinese mit untrüglichem Orientierungssinn (und Navigations-App) hab ich natürlich den Weg gefunden.


Zurück hab ich's Fahrrad genommen mit einem Zwischenstopp in Sanlitun.


Und von hier sind's mit dem Rad auch nur noch etwa 20 Minuten bis zu mir nach Hause.

Mittags mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Einkaufen:
Wenn der Postmann zweimal hupt...


und...


...Parken für Fortgeschrittene.

Heute Nachmittag kam wieder eine Info-Mail vom Auswärtigen Amt, in der über die aktuell erheblich verschärften Quarantäne-Regelungen für nach China Einreisende informiert wurde. Das kann im schlimmsten Fall bis zu einer 14-tägigen Unterbringung in einer zentralen Quarantäneeinrichtung gehen, für die man dann auch noch selber die Kosten zu tragen hat. Wenn ich daran denke, dass sich dieser Tage eigentlich Besuch bei mir angemeldet hatte. Das wär ein unvergessliches China-Abenteuer geworden. Woran ich bei diesen verschärften Regelungen wohl nicht mehr denken brauche, ist ein Oster-Urlaub. Die Hoffnung auf ein paar Tage Auszeit ist mit der heutigen Mail so gut wie verpufft.
Bloß gut, dass meine Hausapotheke für alle Fälle bestens ausgestattet ist.


Montag, der 16.03.: Ab heute werden die Quarantäne-Regelungen für nach Peking Einreisende abermals verschärft. Jetzt ist der 14-tägige, selbst bezahlte Aufenthalt in einem zentralen Quarantänelager für alle verpflichtend. Dort geht's direkt nach dem Aussteigen aus dem Flieger mit einem Sammeltransport hin. Hat nicht doch jemand nochmal Lust, mich spontan in dieser freundlichen, wunderschönen Stadt besuchen zu kommen? Mal raus aus dem infektiösen Europa? 
Ab heute ebenfalls offiziell: Für meine Kollegen und mich gilt über Ostern "Ausreisesperre aus Peking". Wer schon gebucht hat, muss stornieren. Ich könnt einfach nur noch laut 'Kakao' schreien.
Darauf erstmal Mittagspause im "Wagas":


Back to the early 90's. Erinnert mich an Heiße Hexe an der Aral-Tanke. Nur besser.

Grüße gehen raus nach Europa. Steht es durch und bleibt gesund! Von China lernen heißt siegen lernen. 😏
Und mal ein paar Wochen weitgehend Zuhause bleiben zu müssen, ist so langweilig nun wiederum auch nicht. Ich frag mich bloß, warum in einer Packung 12937 Reiskörner drin sind, und in der anderen 12988. 🤔

Mittwoch, der 18.03.: Inzwischen ist hier voll der Frühling ausgebrochen. Heute soll schon die 24°C-Marke geknackt werden. Derweil schottet sich Peking noch drastischer von der Außenwelt ab. Schließlich lauert - nach chinesischer Denkart - die Gefahr ja mittlerweile nicht mehr im eigenen Land, sondern wird von außen eingeschleppt. Internationale Flüge dürfen nicht mehr in Peking landen, sondern werden auf Inlandsflughäfen umgeleitet. Die Passagiere werden noch im Flugzeug untersucht, und nur wer symptomfrei ist, wird nach Peking transportiert.
Aber Grenzschließungen, Ausgangssperren, Flugverbote, Ausnahmezustände europa- und weltweit. Apokalyptisch.
Die Pekinger Stadtregierung bietet als Ausgleich für die drakonischen Maßnahmen und Beschränkungen seinen Einwohnern nun exklusives Reisefeeling in den eigenen vier Wänden. 
Heute Kreuzfahrt bei Windstärke 6:





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