Montag, 29. Juni 2020

84| Die Odyssee

1| Der Auszug (29.06.)
Es ist geschafft. Nach mehrmaligem Ein-, Aus- und Umpacken, Experimentieren mit gefalteter, gerollter, gestopfter und geknüllter Kleidung habe ich nun alle vier Koffer und Taschen mehr schlecht als recht zugekriegt. Etliches muss trotz allem hier bleiben. Blöd, aber leider nicht zu ändern. Abschließend hab ich nochmal gründlich durch die Bude gefeudelt. Wahrscheinlich ist sie jetzt sauberer als am Tag meines Einzugs.

2| Das 1. Hotel (29.06.)
Nur wenige Schritte von meinem compound entfernt, ist das Hotel eigentlich ein alter Belannter, war ich doch am Anfang meiner Pekinger Jahre schon mal Gast hier. Damals ein abgerocktes "ibis", ist es inzwischen ein renoviertes "neo citigo".


Das Zimmer ist nicht wirklich groß, aber ganz modern und vor allem sauber.


Der Check-in war - wie in China üblich - etwas aufwändiger mit mehrmaligem Kopieren des Passes, Scannen mehrerer Apps, Ausfüllen chinesischer Formulare. All das mit Unterstützung durch Translator-Apps, ist doch das Englisch der Rezeptionsdame genauso rudimentär wie mein Chinesisch.
Nu chill ich erstmal kurz auf'm Bett, bevor ich den letzten Schwung Gepäck hole. Und nachher gibt's noch ein Feierabend-Tsingtao auf der Hotel-Terrasse. Das kann ich wenigstens auf chinesisch bestellen.

3a| Die Wohnungsübergabe (30.06.)
Die hat schon mal nicht so geklappt wie geplant. Meine Maklerin hat leider den Termin verbummelt: "sorry, I totally forgot." Neuer Versuch: Heute am späten Nachmittag. 
Tja, auch der ist nicht zustande gekommen. Momentan ist meine Maklerin gar nicht zu erreichen. Ich will meine 2000 € Deposit wiederhaben.
Am Abend dann ein neuer Terminvorschlag: Morgen 10:00 Uhr. Die Kaution wird's aber erst nach einem etwa einwöchigen Prüfungsprozess zurück geben. Aha. Ob ich meine Kohle jemals wiedersehe? Den Abend haben wir im Kollegen- und Freundeskreis bei BBQ, Bier und Cocktails in der "Fressgasse" ausklingen lassen.


3b| Die Wohnungsübergabe (01.07.)
Heute nun hat es geklappt. Meine Maklerin war zwar nicht anwesend, dafür ein ausschließlich chinesisch sprechender Vertreter, aber wat soll's. Alles war tipi topi, obwohl er sehr intensiv nach Mängeln gesucht hat. In 3 - 5 Tagen soll ich die volle Kaution zurücküberwiesen bekommen. Bin ich ja mal gespannt. 
Mittags habe ich mich dann im Fitnessstudio abgemeldet, obwohl die Dame mein Begehr nicht so richtig verstand und immer wieder fragte, wann ich denn zurückkehren würde. 
Eine gut englisch sprechende Kollegin hat zudem für mich noch einen Termin in einer internationalen Klinik für einen Nukleinsäuretest vereinbart. Ein solcher negativer Test ist Grundvoraussetzung um Peking überhaupt verlassen zu können. Bezüglich der Charterflüge gibt es ärgerlicherweise nachwievor keinerlei Infos, sodass ich nun auf Plan B umschalten und morgen versuchen werde, auf einen Air-China-Flug nach Kopenhagen (montags) oder nach Paris (mittwochs) zu kommen. Umrahmt wird dieser Buchungsversuch morgen von einer Frühstücksverabredung am Vormittag und einem Grillfest am Abend.
Und ebenfalls heute ist Pekings äußerst umstrittenes nationales Sicherheitsgesetz für Hong Kong in Kraft getreten. Das Ende der Autonomie? 

4| Die 1. Buchung (02.07.)
13:40 Uhr habe ich nach einigen Anläufen und Wutanfällen die Bestätigungen für eine Flugbuchung nach Kopenhagen am kommenden Montag und zwei Stück Übergepäck erhalten. Was ich dafür hinblättern musste, sage ich hier lieber nicht. Nur soviel, der reiche Onkel aus Schina kommt zu Besuch. Wenn mit dem Flug alles klappt, betritt er am 06.07.2020 um 18:45 Uhr wieder europäischen Boden.
Angedacht habe ich, eine Nacht in Kopenhagen zu verbringen um am nächsten Tag nachmittags mit dem Zug weiter nach Deutschland zu fahren. Das war möglicherweise etwas zu kurz gedacht, immerhin komme ich nicht aus Ballerup, sondern aus Beijing. Auf meine Anfrage hin schreibt mir jedenfalls das Hotel, dass es grundsätzlich zwar wieder Gäste empfängt, in meinem speziellen Fall aber verweist es an die dänischen Grenzbehörden. Sollte ich den Transitbereich des Flughafens nicht verlassen dürfen, greift Plan C und ich werde wohl oder übel einen weiteren Flug buchen müssen. Lufthansa bietet da was Teures über Frankfurt an. 
Übrigens exakt in diesem Moment ploppt bei mir auch eine E-Mail zu den Charterflügen mit nur einer wesentlichen Information auf, nämlich dem geplanten Flugdatum. Geschenkt.

5| Der Test (03.07.)
Seit den Neiinfektionen im Juni hat Peking massiv aufgerüstet. Bei 300000 und mehr Tests am Tag sind mittlerweile um die 8 Millionen Pekinger auf das Coronavirus getestet. Und ich heute auch zum wiederholten Mal. Diesmal auf dem Parkplatz eines Krankenhauses. Der Rachenabstrich erfolgte durch das vergitterte Fenster eines Baucontainers.


Zum einen hoffe ich jetzt, dass der Test negativ ausfällt, zum anderen, dass das Ergebnis überhaupt rechtzeitig vor dem Flug am Montag ankommt. 

6| Die 2. Buchung (03.07.)
Dänen lügen nicht. Glaubhaften Informationen zufolge werde ich in Kopenhagen keine Hotelübernachtung buchen und das Flughafengebäude nur verlassen können, wenn ich mit einem gültigen Zugticket meine unmittelbare Weiterfahrt nach Deutschland nachweisen kann. Ein solches Ticket habe ich nun. Gegen Mitternacht geht's vom Kopenhagener Hauptbahnhof los. Mit Zwischenhalten an etlichen Milchkannen rumpelt der Zug dem Sonnenaufgang entgegen und wird nach etwa sechsstündiger Fahrt sein Ziel erreichen. 
In diesem Moment kursiert die Nachricht, dass kein negativer Nukleinsäuretest mehr vorgelegt werden muss, wenn man aus einer low-risk-area kommt und Peking verlassen möchte. Ich bin hier in einer low-risk-area.
Dafür erreichte mich heute nachmittag eine Nachricht aus Deutschland, die mich wirklich zurückgeworfen hat. In einer Anfrage an das Appartementhotel, in dem ich mich eigentlich für 3 bis 4 Wochen einmieten wollte, erwähnte ich, dass ich aus China nach Deutschland zurückkehre. Das war keine gute Idee. Eigentlich ging es in meiner Anfrage um etwas ganz anderes, die Antwort war aber ein herber Rückschlag: "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegt uns noch keine amtliche Erklärung vor, dass die Einreisebeschränkungen und Quarantänebestimmungen für Ankünfte aus China gelockert wurden.Wir bedauern es sehr und bitten um Ihr Verständnis, dass wir Ihnen nach dem aktuellem Stand der zur Verfügung stehenden Informationen trotz verfügbarer Kapazitäten im 🏫 kein Angebot für den Aufenthalt mit Ankunft am 07.07.2020 unterbreiten können."
Morgen muss ein Plan D her. Keine Ahnung, wie der aussehen könnte. Ich mag und ich kann langsam nicht mehr.

7| Ein letzter Versuch (04.07.)
Heute habe ich mich nochmal intensiv auf den Seiten des BMG und des RKI über die mich betreffende aktuelle Lage informiert. Danach sind nur diejenigen Reisenden, die aus Drittstaaten in die Bundesrepublik einreisen, verpflichtet, sich unverzüglich in eine 14-tägige Quarantäne zu begeben, die sich innerhalb von 14 Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben. Nach Informationen des Robert-Koch-Instituts vom 03.07.2020 gehört China nicht zu den Risikogebieten. Dies habe ich auch dem Appartementhotel mitgeteilt in der Hoffnung, dass ich dort doch noch wie geplant einen Longstay-Aufenthalt buchen kann.

8| Noch 24 Stunden China (05.07.)
Das Ergebnis meines Coronatests ist gerade noch rechtzeitig angekommen. Der Flughafen-Shuttle für morgen mittag ist organisiert. Bezüglich meiner Kaution habe ich bisher nur die Info, was aufgrund von ausstehenden Nebenkosten noch abgezogen wird. Das Appartementhotel hat sich auf meine Nachricht bisher nicht nochmal gemeldet. Der Online-Check-In für den Flug ist nicht möglich. Und es ist ein komisches Gefühl, an manchen Orten das letzte Mal gewesen, manche Wege zum letzten Mal gegangen zu sein.

9| Der Flug (06.07.)
Auf dem Weg zum Flughafen zeigt uns der Fahrer unseres Busses einen laminierten Zettel, auf dem in Englisch geschrieben steht, was wir im Falle einer Polizeikontrolle sagen sollen, nämlich dass wir mit dieser Fahrt keinen Taxi-, sondern einen Freundschaftsdienst in Anspruch nehmen. Um das Flughafengebäude zu betreten, ist ein erster Gesundheitscheck zu bestehen, meinen negativen Coronatest will jedoch niemand sehen. Um in den Abflugbereich zu gelangen, muss eine App heruntergeladen und mit einer Menge von Daten gefüttert werden. Dann wirft sie einen QR-Code aus, der beim eigentlichen Gesundheitscheck nur gescannt werden muss. Es dauert eine Ewigkeit. Das Personal scheint überfordert, soll doch für jeden Passagier anschließend noch ein Blatt ausgedruckt werden.


Nach einer Weile kommt einer der Mitarbeiter auf die Idee, die Papierschublade des Druckers zu öffnen. Und siehe da, es liegt nur noch ein halb zerrissenes Blatt drin. Doch es geht trotzdem nicht voran. Nach langen Minuten des Wartens ist schließlich der Fehler gefunden. Der Drucker war nicht angeschaltet.
In Zeitlupe erfolgte anschließend auch die Sicherheitskontrolle. Ein Glück, dass wir drei Stunden vor Abflug am Airport waren und unser Flug der einzige internationale Flug dieses Tages war.


Der Flieger selber war schon bisschen abgewohnt, die Bordunterhaltung konnt man vergessen, aber wenigstens gab's was zu essen und stilles Wasser. Überpünktlich um 18:24 Uhr Landung in Kopenhagen. Hier habe ich noch ein wenig Zeit verbracht mit Kollegen, die wie ich noch eine Weiterreise vor sich haben.

10| Die Zugfahrt (07.07.)
Gegen 22:45 Uhr war ich am Kopenhagener Hauptbahnhof, von dem es 1 Stunde und 20 Minuten später los gehen sollte.


Eine Bahnfahrt in einem schrammeligen Zug, die sich endlos hinzieht. In diesem Moment ist es 04:15 Uhr (in Peking wäre es schon 10:15 Uhr) und draußen zieht plattes Land vorbei.


Ich bin seit mehr als 24 Stunden auf den Beinen und noch ist die Odyssee nicht vorbei.

11| Das 2. Hotel (07.07.)
Pünktlich wie die Maurer fuhr der Zug in den Bahnhof ein. Gepäck zum Taxistand gewuchtet und ab zum Hotel. Dort konnte ich schon - trotz sehr früher Stunde - ein Zimmer, oder besser eine Koje beziehen. Wahrheitsgemäß kreuzte ich an, dass ich die letzten 14 Tage in keinem Risikogebiet war. Den wahren Ursprung meiner Reise verschwieg ich.


Ich bin frisch geduscht und draußen kreischen die Möwen. Die Elbe ist nur einen Steinwurf entfernt.


Und gleich geht's zum Bäcker auf'n Pott Kaffee und zwei Mett-Brötchen.
Aber auch jetzt ist die Odyssee noch nicht vorbei. In diesem Hause hab ich mich erstmal nur für die ersten beiden Nächte eingemietet. Und hier sitze ich nun und telefoniere mit meiner Versicherung, meinem Hausarzt, dem Gesundheitsamt. Infolgedessen bin ich dann gleich noch nach Pinneberg gefahren, weil meine dortige Hausarztpraxis Coronatests durchführt. Läppische 150 € kostet mich dieser eigentlich völlig unnötige Spaß, aber das Appartementhotel besteht auf  einen aktuellen Test, worüber übrigens auch der Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, mit dem ich vorhin telefonierte, nur den Kopf schütteln konnte. Aber sei's drum. Der wahre Kulturschock des Tages war Pinneberg selber. Vor kurzem noch Peking, jetzt Pinneberg. Einen größeren, vom menschlichen Verstand noch verarbeitbaren Kontrast kann es nicht geben.
Und mein Jetlag schlägt jetzt - nach mehr als 36 Stunden auf den Beinen - mit aller Wucht zu. Heute geht's früh ins Bett.

12| Durchatmen (08.07.)
Nach erholsamer Nacht (gut, kurz nach 3 Uhr morgens war ich kurzzeitig mal hellwach) habe ich heute vormittag mal nur geatmet. Saubere, frische Luft, bei um 20 Grad tieferen Temperaturen als in Peking.


Dass die Möwe mich nach diesem Filmchen angreifen wollte und eine halbnackte, offensichtlich völlig zugedröhnte "Dame" mittleren Alters zu Techno aus dem Handylautsprecher tanzend an mir vorbeischwebte, erleichtert mir das Ankommen in Hamburg.
Und bei Pfefferminztee sitz ich nun gerade im Hotel und kümmer mich bisschen um Organisatorisches.
Feierabend. Genug geatmet und organisiert.


13| Das Appartement (09.07.)
Während ich heute morgen bei Regen und 12°C auf und an den Landungsbrücken noch ein bisschen geatmet habe, kam das Ergebnis meines PCR-Tests. Wie erwartet, negativ. Nun sollte meinem Umzug nacher ins serviced Apartment nichts mehr im Wege stehen.
Die Taxifahrt einmal quer durch die Stadt hat mich an Peking erinnert, was den Stau angeht. Für die Kosten allerdings hätte ich dreimal quer durch ganz Peking fahren können. Is nu so. Jedenfalls bin ich jetzt für die nächsten Wochen am vorläufigen Ende meiner Odyssee.


Hier lässt es sich'ne Weile aushalten. Jeden Morgen Frühstück und zweimal die Woche wird durch die Bude gefeudelt. Allerdings werde ich nochmal mit dem Front Office Manager ins Gespräch kommen. Denn niemand hat sich für meinen 150 Euro teuren Coronatest interessiert.
Dafür hab ich inzwischen meine Kaution zurücküberwiesen bekommen, und sogar mehr als ich erwartet habe. Sicherheitshalber hab ich flugs mein chinesisches Konto bis auf den letzten Groschen leergeräumt.
Und ich werde jeden Groschen brauchen, wenn ich denn eine neue Wohnung gefunden habe. Irgendwann.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen