Sonntag, 20. Oktober 2019

68| mittendrin statt nur dabei

Damit meine ich nicht etwa die Baustelle vor meinen Fenstern, auf der 7 Tage die Woche von Sonnenauf- bis - untergang und meist noch darüber hinaus mit allem gearbeitet wird, was Lärm verursacht.


Ich meine damit auch nicht die Musikauswahl meines Pekinger Haus- und Hof-Radiosenders "Hit FM 88.7 - never stop the beat", der mich vor ein paar Tagen nicht nur mit Hits von Ed Sheeran, Beyonce, Justin Bieber oder Taylor Swift beschallt, sondern auch mit "Aloha Heja He" überrascht hat. 
Von Achim Reichel!
Von 1991!

Letztes Wochenende war ich bei einer Kollegin eingeladen, die in den Hutongs lebt - mittendrin im alten, im ursprünglichen Peking.


Bei dem einen oder anderen Bierchen auf ihrer Dachterrasse wurde mir bewusst, dass ich zuvor noch gar nicht wirklich in den Hutongs unterwegs war, allenfalls mal dran vorbei oder auf einen Abstecher hinein. Das habe ich heute, Sonntag, den 20. Oktober, geändert.
Rund um die Verbotene Stadt findet man immer noch diese engen Gassen mit den traditionellen chinesischen Siheyuan-Wohnhäusern. Vier der ein- bis zweigeschossigen, aus grauem Stein gebauten Häuser sind jeweils um einen gemeinsamen Innenhof angeordnet. In diesem oder auf der Straße spielt sich auch heute noch das Leben der Bewohner ab. Immer mehr dieser Hutongs müssen allerdings moderner Wohnbebauung weichen oder werden saniert und mit Läden, Bars und Restaurants aufgehübscht, damit zahlungskräftige Einheimische und Touristen ihr Geld dort lassen. 
Ich startete meinen Rundgang bei den Bell and Drum Towers, die sich am nördlichen Ende der etwa 8 km langen zentralen Pekinger Nord-Süd-Achse befinden.


Beide Türme sind etwas weniger als 50 Meter hoch, wurden 1272 erbaut und dienten während der Yuan-, Ming- und Qing-Dynastie zum Ansagen der Zeit nach dem Prinzip "Morgenglocke" und "Abendtrommel". Im Trommelturm werden historische Relikte und Nachbildungen gezeigt, im Glockenturm hängt eine 63 Tonnen schwere Glocke, die größte ihrer Art in China.


Ein China-Reiseführer warnt: "Der Aufstieg ist nicht für Personen geeignet, die nicht sportlich genug oder in ihrer Mobilität eingeschränkt sind." Ich habe es trotzdem geschafft. Aber die Treppen hinauf auf beide Türme sind tatsächlich mega steil.


Von beiden Türmen hat man einen ganz guten Blick auf die sie umgebenden Hutongs. Und man konnte überhaupt etwas sehen, weil heute die Luftwerte nicht mehr so katastrophal waren wie Freitag und vor allem den ganzen Samstag.


Von den Türmen bin ich zunächst in östliche Richtung geschlendert und habe mich dann einfach treiben lassen durch touristisch stärker frequentierte Gassen...


...aber auch durch sehr beschauliche und fast menschenleere Gassen.


In der U-Bahn auf dem Weg nach Hause habe ich dann noch etwas ja irgendwie ganz romantisches oder vielleicht sogar tragisches beobachtet. Mit mir zugestiegen ist ein Mädchen mit Kopfhörern auf und vertieft in ihr Handy. Neben ihr stand ein Junge mit Kopfhörern und vertieft in sein Handy. Als er die Bahn verließ, hielt er dem Mädchen wortlos sein Handy hin, auf dem etwas geschrieben stand. Der Text war offensichtlich so kurz, dass das Mädchen ihn innerhalb dieser einen Sekunde lesen konnte. Der Junge verschwand, das Mädchen überlegte kurz, verließ die Bahn, blieb aber auf dem Bahnsteig stehen, ging wieder zurück, stieg noch einmal aus, verharrte kurz und kam wieder in die Bahn zurück. Die Türen schlossen sich, und vielleicht werden sich die Beiden nie wieder sehen. Nagut, da war ich nur dabei.
Mittendrin stecke ich dann wieder nächstes Wochenende - in einem Berg von Arbeit.


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